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Im Gespräch | „Ein Krieg der Schande“: Der Schriftsteller Kamel Daoud über seine Heimat Algerien

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Im Sommer 2023 floh Kamel Daoud aus seinem Heimatland Algerien, um der politischen Verfolgung der Regierung zu entkommen. Im französischen Exil schrieb er seinen Roman Huris, der 2024 mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet wurde. Auf Deutsch ist er soeben bei Matthes & Seitz (398 S., 28 €) erschienen, übersetzt von Holger Fock und Sabine Müller. Darin erzählt eine Frau ihrer ungeborenen Tochter vom algerischen Bürgerkrieg, den sie selbst nur schwer verletzt überlebt hat. Internationale Bekanntheit erlangte Daoud mit seinem literarischen Debüt Der Fall Meursault – eine Gegendarstellung, eine postkoloniale Antwort auf Albert Camus’ Roman Der Fremde. Als wir uns in Berlin treffen, wird Daoud von Personenschützern begleitet.

der Freitag: Herr Daoud, Sie schreiben in Ihrem Roman „Huris“ über den algerischen Bürgerkrieg in den 1990ern und brechen damit ein Tabu. Warum darf man in Algerien nicht über den Krieg sprechen?

Kamel Daoud: Das müssten Sie einen Soziologen, Politologen oder Historiker fragen. Aus meiner Sicht gibt es im Wesentlichen drei Gründe. Erstens ist der Bürgerkrieg im Gegensatz zum Befreiungskrieg gegen Frankreich ein Krieg der Schande. Algerier haben sich gegenseitig vergewaltigt, umgebracht und massakriert. Zweitens wäre der Deal, den das Regime mit den Islamisten getroffen hat, gefährdet, wenn zu viel über den Krieg gesprochen würde. Dann würden die Menschen in Algerien fordern, dass die Täter sich juristisch verantworten oder um Vergebung für die von ihnen begangenen Massaker bitten müssten. Damals einigte man sich darauf, die Kämpfe einzustellen und das Tuch des Schweigens darüberzulegen. Denn, und das ist der dritte Grund, das Regime braucht die Islamisten, um die Gesellschaft unter Kontrolle zu halten.

Als Journalist haben Sie über den........

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