Nils C. Kumkar: Warum wir auf Social Media mehr hassen, als wir das eigentlich wollen
Der Freitag: Die Vergabe des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises an Sophie von der Tann hat eine stark polarisierte Debatte ausgelöst. Auf Facebook habe ich dazu folgende Sätze gefunden: „Irre, wie viele Irre hier agieren, ohne lesen zu können. Ich wende mich gegen die Hetze im Netz.“ Die Polarisierer sind immer die anderen.
Nils C. Kumkar: Ja, man geht vermutlich nicht fehl, wenn man annimmt, dass die Leute, die sich an der Debatte beteiligen, sich gar nicht so polarisierend finden. Sie haben das Gefühl, da ist eine Debatte, die ist polarisiert, und da muss ich mich irgendwie einbringen. Um sich verständlich zu machen, setzen sie sich dazu ins Verhältnis und merken gar nicht, dass das, was sie produzieren, genau die Polarisierung ist, über die sie sich beklagen. Und dann tritt der Effekt auf, den man in obigem Satz herauslesen kann. Der lässt sich in der Tat in ganz vielen sozialen Medien und in diesen politischen Debatten auf Socialmedia beobachten. Aber man muss auch etwas vorsichtig sein.
Warum?
Politische Debatten sind nur ein kleiner Teil des Geschehens auf Social Media. Da passiert auch ganz viel anderes. Über Katzen reden die Leute überhaupt nicht polarisiert. Und es gibt Scheinstreitigkeiten über Rosenkohl und Koriander, die würde auch niemand als polarisiert beschreiben. Aber in politischen Diskursen auf Social Media stellt sich dann einigermaßen zuverlässig dieses Muster ein, dass lauter Leute von sich selbst behaupten, sie wären die vernünftige Mittelposition, aber leider seien alle anderen so extrem unterwegs. Und deswegen müssen sie dagegen jetzt entschlossen Position beziehen …
Die Diskussion um den Gaza-Krieg scheint mir extrem polarisierend. Täuscht das oder könnte man dafür Indikatoren finden?
Man könnte dafür bestimmt Indikatoren finden, ich kenne sie aber nicht. Man muss sich aber klarmachen, dass allein der Begriff Social Media eine Verallgemeinerung über ganz verschiedene Plattformen hinweg ist. Da gibt es durchaus sehr unterschiedliche Debatten-Dynamiken. Es gibt eine Studie von Kligler-Vilenchik und Kollegen aus Israel, die das mal anhand einer bestimmten politischen Debatte über verschiedene Plattformen hinweg untersucht haben. Der Kernbefund war, dass die Polarisierung sich da ganz unterschiedlich entwickelt.
Facebook ist da wohl eher weniger polarisiert.
In der Tat kann man feststellen, dass bei Facebook die Polarisierung im Laufe der Zeit stabil bleibt, bei WhatsApp sogar abnimmt und bei Twitter/X steigt. Das hat vermutlich etwas damit zu tun, wie Leute ins Unbekannte sprechen. Facebook nutzen die Leute in erster Linie immer noch, weil sie da ihre kuratierten Freundeskreise haben, Leute, mit denen man sich irgendwann einigt, oder aus dem Weg geht und sie entfreundet. Während man bei X oder Bluesky in eine unbekannte Öffentlichkeit hineinspricht, und sich deswegen viel eindeutiger verständlich machen muss.
Andererseits wird man mit viel mehr Differenz konfrontiert. Der Widerspruch hört einfach nicht auf. Das heizt die Debatten an. Aber es geht ja nicht nur um die sozialen Medien. Der Gaza-Krieg hat auch eine große Präsenz in den Massenmedien als polarisiertes Thema. Und das wirkt auf Social-Media-Debatten zurück.
Spielt hier nicht der Hass als Antreiber eine große Rolle? Wie sieht eigentlich der Zusammenhang zwischen Polarisierung und Hass aus?
Vorab: Ich verstehe Polarisierung als Komplexitätsreduktion, die Zuordnung möglich macht, die es Leuten überhaupt erlaubt, zu wissen, wo sie stehen in an sich unübersichtlichen Gemengelagen. Ich glaube, dass die Debatten aber nur dann funktionieren, wenn die Leute auch das Gefühl haben, dass die Sache wichtig ist. Das heißt, es geht in der Regel gar nicht darum, dass die Leute wirklich ihre Meinung ganz genau präsentieren. Vielmehr hoffen sie, dass sie in einer Debatte, in der es um etwas geht, die richtige Position einnehmen können.
Salopp gesagt: Die Vereinfachungsmaschine kann nur greifen, weil sie sich selbst als Kampf gegen Gut und Böse präsentiert. Das hat natürlich eine affektive Dimension. Da spielt natürlich Hass eine Rolle. Nur ist manchmal gar nicht so einfach zu sagen, ob der Hass in der Diskussion erzeugt wird, oder sich in der Diskussion artikuliert. Hassen die Leute eigentlich wirklich, oder sind es sozusagen ihre affektiven Investments in eine Debatte, bei der man sonst nicht mitmachen könnte?
Es geht wohl Hand in Hand.
Ja. Und natürlich ist Social Media anfällig für Hasskommunikation, weil es ein Kontakt zwischen Unbekannten ist, wo man den anderen nicht beobachten und deswegen vielleicht eher nachtritt und sich anderen über diese Aggression auch verbünden kann.
Daraus bilden sich die Misstrauensgemeinschaften, von denen der Soziologe Aladin El Mafaalani spricht.
Wenn ich mit Ihnen........





















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