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„Iraner:innen haben keinen Staat, der sie schützt“

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14.06.2025

„Angst, Wut und Unsicherheit – das sind die Gefühle, die wir hier in Teheran gerade verspüren. Ich selbst bin schon so abgestumpft nach allem, was in diesem Land schon passiert ist – aber heute in der Früh konntest du richtig spüren, wie die Angst den Leuten auf der Straße im Gesicht geschrieben steht. Wir haben versucht, das als einen weiteren Angriff, so wie wir sie gewohnt sind, zu sehen, aber diesmal ist das anders. “

Hafiz* ist 35 und lebt in der iranischen Hauptstadt Teheran, beruflich ist er Filmemacher. Mit der WZ kommuniziert er über Telegram, andere Kommunikationskanäle sind dort wegen der vom Regime verhängten Internet-Zensur nur sehr schwer zugänglich. Hafiz‘ Wohnung befindet sich im Zentrum von Teheran.

In der Nacht auf Freitag hat Israel den Iran angegriffen. Unter dem Codenamen „Operation Rising Lion“ flog Israel einen groß angelegten Luftangriff auf über 100 Ziele im Iran. Darunter: militärische Anlagen, Waffenlager und die Urananreicherungsanlage in Natanz, aber auch zivile Einrichtungen kamen zu Schaden. Berichten zufolge wurden dabei hochrangige iranische Militärs, darunter General Hossein Salami und Militärchef Mohammad Bagheri, sowie zwei Nuklearwissenschaftler getötet. Es gibt auch zivile Todesopfer, offizielle Zahlen sind aber noch ausständig.

Israel begründet den Angriff damit, dass man Anzeichen erkannt habe, dass der Iran kurz vor der Fertigstellung einer Atombombe steht, und somit eine „existenzielle Bedrohung“ des jüdischen Volkes darin sieht, heißt es vom israelischen Armeesprecher. Der Iran bestreitet dies. Offiziell heißt es aus Teheran, das Programm diene der zivilen Energiegewinnung. Doch viele Länder – vor allem Israel und die USA – glauben, dass der Iran heimlich an Atomwaffen arbeitet.

Der iranische Außenminister Abbas Araghtschi wertet den Angriff als direkte Kriegserklärung: Am Freitagmorgen reagierte der Iran dann mit einem massiven Drohnenangriff. Mehr als 100 Drohnen wurden in Richtung Israel geschickt. Als Vorsichtsmaßnahme schloss Israel seinen Luftraum, Schulen und Universitäten bleiben vorerst geschlossen. Der Schattenkrieg zwischen dem Iran und Israel dauert schon seit Jahren an – durch Cyberangriffe oder Proxy- Angriffe auf Militärstützpunkte.

Der Unterschied zu „Operation Rising Lion“ besteht nun darin, dass Israel zum ersten Mal offen und großflächig iranisches Staatsgebiet angegriffen hat – nicht nur Milizen oder Verbündete. (Mehr dazu findest du unter Infos&Quellen).

Innenpolitisch ist die Lage im Iran ohnehin schwierig: Seit Jahren richten sich Proteste gegen das autoritäre Regime, das seit der Islamischen Revolution 1979 besteht und von Oberstem Führer Ali Khamenei dominiert wird. Besonders massiv war die Protestwelle 2022 nach dem Tod von Jina Mahsa Amini, bei der Millionen Menschen – vor allem junge Frauen – unter dem Slogan „Frau, Leben, Freiheit“ auf die Straße gegangen sind.

Das Regime reagierte mit brutaler Repression, Massenverhaftungen und Hinrichtungen, doch viele Iraner:innen haben ideologisch längst mit dem System gebrochen. Sie fordern politische Freiheit, Gleichberechtigung und........

© Wiener Zeitung