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Kaplan und Partisan: Würdigung eines politisch Unbequemen

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18.02.2025

In Österreich war es die Geschichtslüge vom „ersten Opfer Hitlers“, die eine Aufarbeitung der Vergangenheit lang verhindert hat. In der Slowakei war es nach dem Zweiten Weltkrieg der Mythos von der umfassenden Führungsrolle kommunistischer Partisan:innen im Kampf gegen den Faschismus, die eine einseitige Geschichtsbetrachtung zur Folge hatte. Und die hat dazu geführt, dass Leute wie der evangelische Pfarrer und Widerstandskämpfer Ondrej Simek zu Lebzeiten nicht gewürdigt wurden und kaum zu Wort kamen.

Simek ist der 1996 verstorbene Großvater meiner Ehefrau Zuzana. Ich persönlich habe ihn nicht kennengelernt. Er war Partisan, hat zwei Konzentrationslager und einen Todesmarsch überlebt. Er sollte ursprünglich nach Auschwitz deportiert werden, war schon an der Rampe vor dem Tor mit der Aufschrift „Arbeit macht frei“, als sein Zug nach Ravensbrück umgeleitet wurde.

Seine Geschichte, die viele Jahre aus politischen Gründen nur im Familienkreis erzählt werden konnte, soll hier dargestellt werden. Das ist umso leichter möglich, als er seine Erfahrungen 1980 unter dem Titel „Takto to bolo“ (zu Deutsch: „So ist es gewesen“) niedergeschrieben hat.

Hätte er das nicht gemacht, wären heute wohl nur noch vereinzelte anekdotische Erzählungen in der Familie und einige Erinnerungsstücke übrig. Da gibt es etwa jenes Foto im Haus meiner Schwiegermutter, Maria Sykorova, das Simek im Zweiten Weltkrieg in seiner Funktion als evangelischer Kaplan zeigt: Gemeinsam mit dem deutlich älteren Pfarrer und einer Abordnung von Slowaken in Tracht beerdigt er die Überreste einer alliierten Flugzeugbesatzung, die über der Hohen Tatra abgeschossen worden war. Weiters ist die Geschichte überliefert, dass Simek 1936 als Student in Erlangen gemeinsam mit einem Freund einfach demonstrativ sitzen geblieben ist, als ein Trupp Nazis in den Raum stürmte und alle aufsprangen und die rechte Hand zum „Deutschen Gruß“ erhoben. Zudem wird im slowakischen Ort Batisovce am Fuß des Bergmassivs heute noch erzählt, dass Simek im Zweiten Weltkrieg Juden getauft habe, um ihnen das Schicksal der Deportation zu ersparen. Bekannt ist, dass der Geistliche sein Leben lang die deutsche Sprache geliebt hat und zahlreiche Kontakte zu Pfarrern in der ehemaligen DDR unterhielt.

Sein Häftlingsgewand hat er lang aufgehoben und bei jährlichen Treffen ehemaliger KZ-Mitgefangener aus seiner Gegend angezogen. Bis es seiner Mutter reichte und sie die gestreiften Erinnerungsstücke einfach verbrannte. Und dann ist da noch jener Löffel, der ihm in Ravensbrück von einem Barackenkommandanten geschenkt worden war und den er täglich bis zu seinem Tod zum Essen benutzte: Er wurde ihm von seiner Familie mit ins Grab gegeben.

Begonnen hat alles im August 1944. Da erhoben sich Teile der slowakischen Armee und Partisanen gegen die deutschen Besatzer, gegen die Wehrmacht, die im Juli in den Vasallenstaat einmarschiert war, um die Verteidigung gegen die anrückende sowjetische Rote Armee zu organisieren. Simek hatte den Nationalsozialismus als Theologiestudent in Deutschland schon vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs kennen und hassen gelernt. Er schloss sich dem Aufstand sofort an und wies den slowakischen Regierungskommissar in Batisovce an, die Mobilmachung zum Aufstand auszurufen.

Es begannen heftige Kämpfe mit der Wehrmacht, die den Aufstand in zwei Monaten niederschlug. Simek versteckte sich einige Zeit in den Bergen, bis er sich schließlich im November 1944 nach Batizovce aufmachte, da dort seine Eltern wohnten. Er wurde gefasst, eingesperrt und am 24. November mit anderen Partisanen in Lastwägen verfrachtet und am Bahnhof von Presov in Viehwaggons gepfercht. Die Fenster waren verbarrikadiert, ein leerer Kübel diente als WC. Bevor der Gefangenentransport in Auschwitz ankommt, schreibt Simek verzweifelt drei Kassiber – kleine Zettel, auf denen er auflistet, wer in seinem Waggon sitzt und dass dringend Verpflegung benötigt wird. Wer den Zettel findet, möge ihn der Familie Simek in Batizovce oder Velicna übergeben.........

© Wiener Zeitung