Das Sterben vermögen
Gibt es einen unbedingten Lebenswillen? Oder ist es irgendwann einfach genug? Und was dann?
Der Schutz des individuellen Lebens eines jeden Einzelnen ist in unserer Gesellschaft zum höchsten Wert geworden. Um ein Leben zu retten, werden alle Mittel in Bewegung gesetzt, mit hohem Aufwand wird versucht, eine Bergsteigerin aus unwegsamem Gelände zu bergen, und um schwerkranke Menschen zu heilen oder wenigstens ihr Sterben so weit wie möglich hinauszuzögern, werden alle erdenklichen Möglichkeiten und Verfahren der modernen Medizin aufgewandt.
Aus dem Wunsch, jeder Person ein möglichst langes Leben zu ermöglichen, ist längst ein Zwang zum Weiterleben geworden, wobei man oft eher vom Weiterleiden sprechen müsste. Wer im Alter schwer erkrankt, muss heute damit rechnen, noch viele Jahre am Leben gehalten, genauer, vom Sterben abgehalten zu werden. Der Mensch sei sterblich, weil er sterben kann, weil er den Tod als Tod vermag, sagte der Philosoph Martin Heidegger. Aber wir werden vom Sterben abgehalten, selbst, wenn wir nicht mehr leben wollen, wenn das, was wir vor dem Sterben noch zu erwarten haben, nicht mehr als Leben bezeichnen wollen.
Wir sehen heute viele Kranke und Alte, die zunehmend nur noch darauf warten und hoffen, dass es endlich zu Ende ist. Und viele Kinder und Enkel behalten ihre Eltern und Großeltern........
© Die Kolumnisten
