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Was bleibt vom ESC 2025? Ein Hauch Utopie und viel Schweizer Pragmatismus

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Analyse Was bleibt vom ESC 2025? Ein Hauch Utopie und viel Schweizer Pragmatismus

Der ESC 2025 war ein Fest mit 300’000 Gästen, drei verletzten Polizisten und Pyrotechnik. Die grosse Bilanz.

Florian Oegerli Jetzt kommentieren 18.05.2025, 15.58 Uhr Drucken Teilen

War für ein paar Tage der glitzernde Nabel der Welt: die Basler St. Jakobshalle.

Bild: Til Buergy/Keystone

Am Anfang stand ein Tweet. Zehn Stunden nach Nemos ESC-Sieg preschte Regierungspräsident Conradin Cramer ohne Absprache auf X vor: «Als Austragungsort eignet sich Basel hervorragend. Und wir sind parat.» Ohne diesen Tweet, so hört man aus Basler Politkreisen, hätte es keinen Basler ESC gegeben. Monatelang weibelte der LDP-Politiker für seine Vision. Am Ende wurde sie Realität – wobei sich zeigen wird, wie gross der Goldtopf am Ende des Regenbogens wirklich ist.

Cramer bleibt als «Mister ESC» in Erinnerung. Die Rolle ist wie geschaffen für ihn: Wie der ESC lebt Cramer von der Form – und vom Fehlen eines Inhalts. Das beweist sein Ratgeber «In die Politik gehen»: Darin empfiehlt er, die Körpersprache zu perfektionieren – und alle Ecken und Kanten abzuschleifen. Eine Methode, die auf der Polit- und der ESC-Bühne weiterbringt.

Conradin Cramer tritt gemeinsam mit dem ESC-Maskottchen Lumo auf.

Bild: Kenneth Nars

Nicht nur der Regierungspräsident, auch seine Stadt beschäftigt sich viel mit sich selbst. Eine Show, die seit bald 70 Jahren um sich selbst kreist, passte da bestens.

Wenn die Tatsachen zurückschlagen

Allerdings zählt in der Politik derzeit harter Realismus mehr als glatte Oberflächen: Im TV-Studio mag sich Europa im Glitzerkostüm feiern. Doch auf seinem Boden findet ein Krieg statt. Da konnten die Pressesprecher noch so lange «no politics» zischen: Es gibt kaum eine politischere Veranstaltung als den angeblich so unpolitischen ESC – die klassische Wiederkehr des Verdrängten.

Dass Tatsachen den Bühnenzauber überschatten, ist nichts Neues: 1970 boykottierte Österreich den ESC aus Protest gegen den Sieg der Franco-Diktatur. Und 2016 lief Russland Sturm, als die Ukraine mit einem Song über die Deportation der Krimtataren unter Stalin gewann.

Dass Israel mit Yuval Raphael eine Überlebende des Hamas-Terrorangriffs nach Basel schickte und auf dem New Yorker Times Square um Stimmen warb, war keine Überraschung. Es ist eine Eigenheit des ESC: Dass Höchstpolitisches in gleichförmige Popsongs gegossen wird, dieser Einheitsbrei aber eine enorme Sprengkraft birgt.

Kopf-ab-Gesten und Grossaufgebote

Das konnte spüren, wer am Finalabend in der Halle oder beim Public Viewing St. Jakob-Park dabei war: Als Raphael mit 99 Punkte Vorsprung führte und nur noch Österreich zwischen ihr und dem Sieg stand, wurde es still. Im ESC-Medienzentrum tauschten Journalistinnen und Journalisten aus aller Welt Blicke aus.

Als es am Ende eng wurde, hielten sich viele Menschen gegenseitig fest, so auch beim Public Viewing in der St. Jakobshalle.

Bild: Til Buergy/Keystone

Alle wussten, was ein Sieg Israels in der angespannten politischen Situation bedeutet hätte: An der ESC-Eröffnungsparade war Raphael mit Buhrufen und einer symbolischen ‹Kopf-ab›-Geste empfangen worden. Und am Finalabend wollte eine unbewilligte Demonstration mit 800 Personen ins Eurovision Village vordringen. Die Polizei griff ein, es flogen Böller, drei Beamte wurden verletzt.

Doch die Schweiz wäre nicht die Schweiz, wenn sie dafür keinen Einsatzplan gehabt hätte. Ein überkantonales Polizeiaufgebot und das pragmatische Vorgehen der Sicherheitskräfte verhinderten Schlimmeres – und sorgten dafür, dass die vielen Gäste das Spektakel geniessen konnten.

Für einige Stunden wirkte es, als könne die Pro-Palästina-Demo am Finalabend eskalieren.

Bild: Peter Schneider/Keyston

Ein britischer Fan lobte auf Reddit die Organisation: «There is really nothing like it.» Und zwei schwedische Fans schwärmten: «Hier geht was.» Ob das reicht, um den Tourismus nachhaltig zu stärken?

Die Schweiz als Resonanzkörper

Auch sonst brillierte die Schweiz in ihrer Paraderolle: Wie so oft stellte sie die Bühne, nicht aber den Inhalt. Stellte Europa ins Zentrum, ohne klarzustellen, ob sie sich mitmeinte. Einmal mehr durfte sich der alte Kontinent seiner selbst versichern, während Hazel Brugger und die halbe Nation skeptisch zusahen. Dass die Schweiz 1956 in Lugano den ersten ESC ausrichtete, ist eine Anekdote. Dass sie das im Jahr 2025 erneut tut, eine Pointe.

Wieder und wieder betonten die drei Hosts, der ESC kehre «heim». Die zwanghafte Wiederholung liess die Aussage fragwürdig erscheinen – zumal jedes Gastland beim ESC bloss Resonanzkörper bleibt. Ausserdem versteht sich die Schweiz auf eine Weise als europäisch, die sich dem Rest Europas nicht immer mitteilt.

Bei aller Euphorie über die Revue «Made in Switzerland»: Ihr Narrativ wirkte wie ein Relikt der Expo.02 – die Schweiz als Innovationshub, vom Instantkaffee bis zum Internet. Das ist korrekt. Und ziemlich brav.

Ein Armbrustträger als Sängerknabe

Absurder war, dass Petra Mede sich in die Rolle Wilhelm Tells warf – als vermeintlichen Erfinder des ESC. Ein Heckenschütze als Pate eines paneuropäischen Sängerwettstreits? Das........

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