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„Die Zensur war ein Indikator, wo wir hinschauen sollten“

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23.01.2025

Sie haben 2021 mit ihren Kolleginnen Megha Rajagopalan und Alison Killing den Pulitzerpreis für ihre Recherche über die Internierungslager in China gewonnen. Wie konnten Sie mit Ihrer Software herausfinden, dass die chinesische Regierung Uigur:innen und Kasach:innen in großem Stil inhaftiert?

Meine Kollegin Megha Rajagopalan hatte ihre Aufenthaltsgenehmigung als China-Korrespondentin verloren, nachdem sie als eine der ersten westlichen Journalistinnen über die Internierungslager berichtet hatte. Sie wollte das weiterhin tun, aber wie kann man über etwas berichten, ohne vor Ort zu sein? Unsere Kollegin Alison Killing, eine Architektin, hatte die Idee, auf Satellitenbildern nachzuschauen, wo diese Lager sein könnten. Das Problem ist, dass die Provinz Xinjiang, wo diese Internierungslager vermutet wurden, sehr groß ist. Es würde ewig brauchen, sie abzusuchen. Zu dem Zeitpunkt wusste man von 20 bis 30 Lagern und die Spekulationen reichten von 200 bis 1.200 weiteren.

Sie haben mit Baidu Maps gearbeitet, dem chinesischen Pendant von Google Maps, auf dem Chinas Regierung Industrieanlagen zensuriert.

Der Fotograf Jonathan Browning hat zuvor entdeckt, dass Chinas Regierung auf Baidu Total View, dem Pendant zu Google Street View, derartige Anlagen zensuriert. Und das sehr dilettantisch. Sie malt zum Beispiel mit einem Photoshop-Pinsel den Himmel über den Turm einer Fabrik, deren Eingangsbereich noch zu sehen ist. Wir haben dann festgestellt, dass sie das auf Baidu Maps auch macht. Und zwar ebenso bei Internierungslagern. Diese Zensur war ein Indikator für uns, wo wir genau hinschauen sollten.

Sie haben dann die Software gebaut, die Xinjang systematisch erfasst hat. Wie hat das funktioniert?

Man kann Xinjiang auf 55 Millionen Koordinaten runterbrechen. Ungefähr fünf Millionen in diesem Kartenmaterial waren tatsächlich zensuriert. Diese fünf Millionen Koordinaten haben wir noch einmal mit Geodaten des Straßennetzes und dem urbanen Raum von Xinjiang überlagert. Wer ein Internierungslager betreiben möchte, braucht nämlich eine Infrastruktur. Man muss also Personal und Verpflegung hin- und herbringen können. Wenn Leute in Fabriken arbeiten, benötigt das Transportwege, etc. So konnten wir diese Koordinaten von fünf Millionen auf 900.000 reduzieren, mit denen wir arbeiten konnten. Dann haben wir mit einer zweiten Software gearbeitet. In der wurde alles in mehreren Stufen ausgesiebt, was nicht über gewisse infrastrukturelle und architektonische Eigenschaften verfügte, die wesentlich für so ein Lager sind. Also sind etwa Wachtürme zu sehen, Stacheldraht, und ob der Komplex über eine bestimmte Größe oder eine bestimmte Ästhetik verfügt. Wir haben beispielsweise festgestellt, dass viele Gebäude für Häftlinge in U-Form gebaut waren.

So konnten sie 268 Internierungslager identifizieren und beweisen, was China immer wieder abgestritten hat, nämlich, dass es diese Lager........

© Wiener Zeitung