Ein Wunderknabe im Geschäft mit den Träumen
Musti, 12 Jahre alt, ist ein schmächtiger Bub. Aber seine Tricks kennen Millionen von Menschen. Sein Instagram-Account zählt 170.000 Follower – mehr als sein Klub Rapid Wien vorzuweisen hat. Manche Videos verbuchen Millionen-Aufrufe. Und das nicht ohne Grund. Wenn Musti in den kurzen Clips mit dem Ball am Fuß losläuft, wirkt alles wie im Zeitraffer. Zackig dribbelt er um Hütchen herum, begleitet von den Worten seines Privat-Coaches, dem ein enthusiastisches „Mamma Mia“ entfährt. Musti läuft, trickst, schießt ins Kreuzeck. Auch das Fernsehen wurde aufmerksam. Bereits im Alter von zehn Jahren dribbelte er im Puls4-Studio und erklärte selbstbewusst: „Ich will einmal bei Barcelona spielen.“
Es ist der wahrscheinlich älteste Bubentraum der Welt: in großen Stadien auflaufen, Titel gewinnen, Millionen verdienen. Eltern träumen da schnell ein bisschen mit. Schon als Fünfjähriger begann Musti im Verein zu kicken – und überraschte zuallererst seinen Vater. „Ich wusste nicht, wie er im Vergleich mit anderen ist“, erzählt Umar Gaytoukaev im WZ-Gespräch. „Aber er hat gleich groß aufgespielt – so wie Messi.“ Seither unterstützt er seinen Sohn, engagiert Privattrainer, Berater und zuletzt gar einen Mental-Coach.
Musti und sein Vater sind kein Einzelfall. Immer mehr Eltern hoffen auf den Durchbruch ihrer Kinder – und sie sind bereit, einiges dafür zu tun. In Wien florieren kommerzielle Privatcoachings wie das „Fußball-Labor“, das Kinder „auf die große Fußballwelt vorbereiten“ will. Die wachsende Branche profitiert vom Geschäft mit den Träumen. Und die Angebotspalette ist vielfältig: Athletik, Mentalität, Technik, Ausdauer, Kraft – alles kann verbessert werden, für einiges an Geld. WZ-Recherchen geben Einblick in eine Welt zwischen verspielten Buben, ehrgeizigen Eltern, gehypten Wunderkindern, einer Menge an Profiteur:innen und zerplatzten Träumen.
Den nackten Zahlen nach ist die Chance auf eine Profikarriere gering. 600.000 Menschen spielen in Österreich vereinsmäßig Fußball, darunter etwa 220.000 Kinder und Jugendliche. Doch als Profi verdienen derzeit laut Spielergewerkschaft VdF bloß circa 600 Österreicher ihr Geld. Sprich: Die Chancen sind extrem gering.
Umar Gaytoukaev, der Vater des 12-jährigen Musti, hat trotzdem keine Zweifel. Sein Sohn werde es schaffen. „Egal wie schwierig eine Übung auch ist, er kann das“, schwärmt er im WZ-Gespräch. „Ich glaube, dass weder Ronaldo noch Messi das in seinem Alter gekonnt haben.“ Mustis Eltern stammen aus Tschetschenien, vor 19 Jahren sind sie nach Österreich gekommen, der Vater fand eine Stelle als Hausarbeiter in einem Wiener Spital. Immer wieder werden Kinder aus Einwandererfamilien zu großen Stars: David Alaba in Madrid, Marko Arnautovic in Mailand. Die sozialen Aufstiege ganzer Familien gingen an vielen Eltern nicht spurlos vorüber. „Wenn wir dahinter sind, können unsere Kinder das auch schaffen“, hört Sertan Günes oft. Günes, ein Wiener mit türkischen Wurzeln, ist Spielerberater und Mitgründer des „Fußball-Labors“, das Privattrainings anbietet. „Die Nachfrage ist extrem hoch“, sagt Günes, der 2021 den erst 18-jährigen Yusuf Demir von Rapid zum großen FC Barcelona transferierte.........
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