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„Die Leute spucken dich an, beleidigen dich, treten dich“

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08.10.2025

Jürgen M. sitzt auf einem Drehstuhl, ruhiger Blick, gefaltete Hände. Durch die geöffnete Türe hinter ihm dringen dumpfe Gesprächsfetzen, Personen huschen ins Büro, holen Schlafsäcke oder Isomatten aus den Regalen, immer wieder klingelt das Telefon. Im Sozialverein B37 in Linz herrscht reger Betrieb. Jürgen M. bringt das nicht aus der Ruhe. Viele, die heute hier sind, kennt er bereits. Ein paar hat er in der Zeit kennengelernt, als er selbst noch obdachlos war, ein paar danach.

Einmal, erzählt Jürgen M., hat er am Hafen in Linz übernachtet, allein. Als er am Morgen die Augen aufschlug, lag er unter einer zentimeterdicken Schneedecke. „Das hätte nicht jeder überlebt. Ich war komplett eingeschneit.“ Ein anderes Mal zog ihm jemand von hinten eine Dopplerflasche über den Kopf. „Ich lag ein halbes Jahr lang im Koma, wusste danach nicht mehr, wie ich heiße, konnte nicht mehr gehen, nicht mehr reden.“ Gewalt, so Jürgen M., sei man als Obdachloser gewohnt. „Die Leute spucken dich an. Sie beleidigen dich. Sie treten dich.“

In den letzten Jahren habe das zugenommen, so Jürgen M. Sozialarbeiter:innen geben ihm Recht. Und auch der Hate-Crime-Lagebericht des Innenministeriums deutet darauf hin.

Es ist der Morgen vom 12. Juli 2023. Hitzewarnung. Am Donauufer in der Nähe der Floridsdorfer Brücke findet eine Spaziergängerin die Leiche eines 56-jährigen obdachlosen Ungarn. Er hat Stichwunden im Bauchbereich und an den Oberarmen. Zehn Tage später wird eine 51-jährigen Slowakin in der Venediger Au attackiert. Das Muster ist ähnlich: Der Angriff erfolgt in der Nacht, wieder mit Messer. Sie schafft es zu fliehen und überlebt. Am 09. August 2023 wird ein niedergestochener, obdachloser Mann schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert, dort erliegt er seinen Verletzungen. Er ist das letzte Opfer in der Mordserie eines österreichischen Jugendlichen. Im Dezember 2023 stellt sich jener der Polizei. Er wird zu zwölf Jahren Haft verurteilt.

Susanne Peter, leitende Sozialarbeiterin bei der Caritas in Wien, war damals im Einsatz: „Wir haben Taschenalarme verteilt, unser Streetwork intensiviert und die Klient:innen dafür sensibilisiert, Einrichtungen aufzusuchen und möglichst nicht allein im öffentlichen Raum zu schlafen.........

© Wiener Zeitung