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Pakistan und Afghanistan: Verwoben, zerrissen und vertrieben

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21.06.2025

„Ich muss erst einmal hierbleiben und Dokumente erhalten. Das ist sehr schmerzhaft für mich, aber es geht nicht anders“, sagte mir Yousuf in seiner letzten Sprachnachricht auf WhatsApp. Kurz zuvor, ausgerechnet während des islamischen Opferfestes Eid Anfang Juni, war sein Vater, mein Onkel Zalmay, nach langer Krankheit in Kabul verstorben. Yousuf ist mein Cousin. Er ist zwei Jahre älter als ich und verbrachte sein ganzes Leben in der pakistanischen Großstadt Peschawar nahe der afghanischen Grenze. Pakistan ist Yousufs Heimat. Er kennt kein anderes Land. Doch nun will ihn ausgerechnet dieses Pakistan außer Landes schaffen und nach Afghanistan abschieben.

Dasselbe geschah mit dem Rest seiner Familie bereits vor rund sieben Jahren.

„Wir haben hier Angst. Vieles hat sich verändert“, meinte Onkel Zalmay, als ich ihn das erste Mal nach seiner Abschiebung in einem Haus im Westen Kabuls besucht habe. Er wirkte damals gebrechlich, schwach und ängstlich. Auch ihm, der Kabul vor fast vierzig Jahren verlassen hatte, war seine Heimatstadt fremd geworden. Es gab kriminelle Banden, regelmäßig stattfindende Anschläge von extremistischen Gruppen wie Taliban und IS sowie zahlreiche Checkpoints von Militär und Polizei. Im Gegensatz zum Alltag in Peschawar war hier der Krieg stets präsent. Auch meine Cousins, allesamt erwachsene Männer, fühlten sich in Kabul fehl am Platz. Sie sprachen nicht den Farsi-Dialekt Kabuls, sondern hatten einen leichten Urdu-Akzent. Yousuf, der letzte Zurückgebliebene, spricht fast gar kein Farsi, sondern unterhält sich mit mir in Paschto mit starkem Peschawari-Dialekt. Für Wörter wie „Brot“ oder „gut“ benutzt er andere Wörter. Anstelle von „doday“ sagt er „roti“, anstelle von „kha“ sagt er „theek“.

Warum das so ist, hat viele Gründe. Sie hängen nicht nur mit meiner eigenen, verwobenen Familienhistorie zusammen, sondern auch mit der Geschichte Afghanistans. Sie verdeutlichen umso mehr, wie tragisch die aktuellen Ereignisse in Afghanistan und Pakistan sind. Allein in den letzten achtzehn Monaten wurde über eine Million afghanische Geflüchtete aus Pakistan abgeschoben. Unter den Betroffenen befanden sich Menschen mit und ohne Aufenthaltspapiere. Yousuf versucht dennoch weiterhin, ein neues pakistanisches Visum zu erhalten. „Ich brauche Geld für den Antrag“, sagte er zu mir. Eine indirekte Bitte, damit ich ihm etwas Geld überweise. Ich reagierte wieder einmal seufzend. Nicht, weil ich ihm keine fünfzig Euro für den Antrag geben möchte, sondern weil ich weiß, dass sie nicht helfen werden. Pakistan hat schon längst seine Entscheidung getroffen. Afghanen wie Yousuf und ich werden als „Namak Haraam“ bezeichnet – ein........

© Wiener Zeitung