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30 Jahre nach Kriegsende: Hoffen auf ein bosnisches Wunder

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Sein großer Bruder packt ihn und versucht ihm vorzuzeigen, den Kiefer so weit wie möglich aufzureißen, damit das Trommelfell nicht platzt, wenn gleich die Bombe einschlägt. Als Granatsplitter über ihm aufgeprallt ist, hat er den Schutt ins Auge bekommen und sich deshalb erschrocken. Das sind die allerersten Erinnerungen, die Dejan Tatić hat. Der Bosnier kam 1993, mitten im Bosnienkrieg, in Doboj zur Welt.

Im Mai 1992 nahmen serbische Paramilitäreinheiten mit Unterstützung der Jugoslawischen Volksarmee die Stadt im Nordosten des Landes ein. Es folgten Vergewaltigungen, Vertreibungen und Ermordungen. Ein Muster, das über die nächsten dreieinhalb Jahre auf den gesamten Bosnienkrieg übertragen wurde. Mit dem Dayton-Friedensabkommen wurde der Bosnienkrieg im Dezember 1995 beendet. Über 100.000 Menschen wurden ermordet und zwei Millionen aus ihren Häusern vertrieben. 30 Jahre nach Kriegsende bleibt ein System zurück, in dem nur Ethno-Nationalisten als Gewinner hervorgehen und die staatlichen Institutionen dauerhaft blockiert werden.

Die ersten Jahre nach dem Krieg waren für Tatić die prägendsten. „Es gab ständig Umbrüche und sehr viel Ungewissheit. Die Leute waren gestresst, die Infrastruktur und die Wirtschaft funktionierten nicht und es gab generell viel Misstrauen“, erinnert sich der 32-Jährige heute beim Interview mit der WZ in Wien. Kulturell, sozial oder pädagogisch war kein Programm da. Eine traumatisierte Elterngeneration versuchte mit den Konsequenzen des Krieges umzugehen, die Kinder blieben sich selbst überlassen.

Vor allem das Bildungssystem war überfordert und zerrüttet. „Ein Lehrer in meiner Volksschule hat sich immer sehr auffällig benommen, auf eine Art, die ich damals nicht verstehen konnte“, sagt Tatić. „Erst später hat man mir erklärt, dass sein Sohn sich im Krieg das Leben genommen hat. Und erst dann habe ich verstanden, dass er eigentlich zutiefst traumatisiert war.“ In seiner........

© Wiener Zeitung