menu_open Columnists
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close

Selbstversuch: Unter Möchtegern-Dschihadisten und Neo-Nazis

4 2
07.05.2025

„Es ist dir erlaubt, Ungläubige in Wien zu töten”, sagt uns A. während eines Videocalls auf Telegram. Eine Sturmmaske verdeckt sein Gesicht, in seinem Zimmer hängt eine IS-Flagge an der Wand. Aufgrund seiner Ideologie war er sogar im Gefängnis, meint er. Seine Stimme bleibt ruhig, fast stolz, als er davon erzählt. „Der Dschihad geht weiter. Ich kenne viele Brüder, die so denken wie ich.“ Offiziell gilt er als deradikalisiert – von den deutschen Behörden, wie er uns prahlerisch mitteilt. Wir haben A. auf TikTok kennengelernt – unsere echte Identität kennt er nicht, er denkt, er spricht mit einer 17-jährigen Konvertitin.

Vom ersten Klick bis zu unserem Gespräch mit A. vergehen keine vier Tage. Er will uns mit „Brüdern und Schwestern mit gleicher Gesinnung“ in Wien connecten – sie alle glauben an ein Wiedererstarken des sogenannten Islamischen Staats. A. schickt uns per Telegram IS-Propaganda-Videos, will wissen, wo wir sind, was wir machen und warum wir nicht sofort antworten. Schnell wird uns klar: Er spielt sich auf, will „cooler“ und stärker wirken, als er ist – wenig überraschend. Er gibt aber nicht auf. „Du bist so naiv und süß, das gefällt mir – wenn wir uns besser kennenlernen, können wir im Sommer heiraten“, schreibt er weiter. Da wird uns das Ganze doch zu unheimlich.

Das ging schnell. Zu schnell. Was, wenn hinter unserem Fake-Account wirklich eine 17-jährige, verunsicherte, manipulierbare junge Frau gesteckt hätte?

Seit 11. April sitzt ein 18-jähriger mutmaßlicher IS-Anhänger in U-Haft – er soll einen Anschlag auf die Israelische Botschaft sowie das Islamische Zentrum in Wien geplant haben. Im Februar tötet in Villach ein 23-jähriger Syrer einen erst 14-Jährigen im Namen des IS. Zuvor wird ein Anschlag am Wiener Westbahnhof, geplant von einem 14-jährigen Österreicher, vereitelt. Im März schockieren die „Hate Crime“-Razzien in der rechtsextremistischen Szene: 14- bis 26-jährige Männer und Frauen sollen Homosexuelle mit Fake-Accounts auf Social Media angelockt und daraufhin schwer misshandelt haben – bis hin zum Mordversuch. Bei den Hausdurchsuchungen werden Waffen und NS-Devotionalien gefunden.

Die rechtsextremen Straftaten in Österreich haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen (siehe Infos & Quellen). Im Jahr 2023 blieb die Zahl dschihadistisch motivierter Straftaten in Österreich auf einem niedrigen Niveau, aber laut dem Verfassungsschutzbericht der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) steigt vor allem die Online-Propaganda, was zu einer verstärkten Radikalisierung, auch an Schulen, führt. Was die islamistischen und rechtsextremen Gruppen verbindet: Die Täter:innen sind erschreckend jung. Und sie radikalisieren sich dort, wo sie sich ohnehin am meisten aufhalten – auf Social Media. Wir wollten wissen, wie das funktioniert und machen daher einen Selbstversuch: Wie schnell geraten wir in islamistische und rechtsextremistische Bubbles?

Nach unserem Videotelefonat mit A. schauen wir uns die rechtsradikale Online-Szene an. Diesmal nennen wir uns „Heimatmädel“. Die Inhalte auf TikTok und Telegram sind mindestens genauso verstörend. Innerhalb weniger Minuten stoßen wir auf Videos, die Adolf Hitler glorifizieren. Hitler als Baby, Hitler am Rednerpult. „Er ist süß“,........

© Wiener Zeitung