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Sprachensterben – Verlust der sprachlichen Identität

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26.10.2025

Wer seine Sprache liebt, der spricht sie. Sie nur zu bewahren, reicht nicht aus. Eine Kolumne von Chris Kaiser.

Viele Sprachen sieht man als vom Aussterben bedroht an. Wie bei dem Artensterben der Flora und Fauna der Welt, ist der Fortschritt und die Globalisierung das Problem. Aber, während die Tier- und Pflanzenwelt vor allem darunter leidet, dass wir Menschen immer mehr werden, ist es bei den Sprachen so, dass die sie sprechenden Menschen weniger und weniger werden.

Ich werde hier im Text etwas persönlich, weil meine eigene Biografie das Thema anschaulich macht.

Ich bin in den 70er Jahren in Rumänien, genauer gesagt, in Siebenbürgen, geboren. Dieser Landstrich ist eine Vielvölker-Region. In meiner Heimatstadt Mediasch gab es mehrere Ethnien, die mehr oder weniger nebeneinander und manchmal miteinander lebten. Ethnien erkennt man meist an ihrer eigenen Sprache. Die Juden und die Siebenbürger Sachsen sprachen offiziell Deutsch, aber zuhause oft Jiddisch beziehungsweise Siebenbürger Sächsisch. Die Roma sprachen offiziell Rumänisch, inoffiziell, fast heimlich, Rumantsch. Alle diese Informationen sind heute nicht mehr gültig. Denn die Juden sind in der Nachkriegszeit nach Israel ausgewandert, die Deutschen so gut wie alle nach Deutschland und die Roma werden endlich in ihrer Eigenheit offiziell geschützt und zum Teil gefördert.

Ich selbst spreche weder Ungarisch, Jiddisch oder Rumantsch. Ich wusste nicht, dass wir in Mediasch Juden hatten. Mir kam es nicht einmal in den Sinn, Rumantsch zu lernen. Man lernt nur, was man zur Kommunikation braucht. Meine Nachbarn damals hätten Stein und Bein geschworen, keine Roma zu sein, auch wenn wir ihre ethnische Zugehörigkeit an ihrer Vorliebe für besonders leuchtende Farben und ihrer Hautfarbe schon genau damit verbanden. Und sie sprachen mit uns und unter sich Rumänisch. Es gab aber auch andere, die an den Planwägen und ihrer typischen Tracht erkennbar waren, typische Berufe ausübten, wie Kupfer- und Pferdeschmied, Kesselflicker (ja, das gabs im Rumänien der 80er noch) und so weiter.

Ich sprach als Kind Deutsch, Rumänisch und Siebenbürger Sächsisch. Wie alle Sachsen. Denn wir lernten Sächsisch als Muttersprache, Deutsch in der Schule und aus den Büchern und Rumänisch auf der Straße und in der Schule.

Bei mir war das etwas anders. Ich ging schon mit einem Jahr in die rumänische Tageskrippe, da meine Mutter Vollzeit arbeitete, und später in den rumänischen Kindergarten, der sich den Hof mit der Krippe teilte. Die Folge war, dass ich einen Mischmasch von Rumänisch und Sächsisch radebrechte, was meine Mutter zu dem Entschluss brachte, dass ich erstens in den deutschen Kindergarten komme und zweitens, dass wir zu Hause auch anfingen, Deutsch zu sprechen. Der Entschluss führte zum Erfolg, und ich kann heute rückblickend sagen, dass Deutsch meine Muttersprache ist.

Es hatte skurrile Folgen, da ich bei meinen weiteren Verwandten ungern Sächsisch sprach, weil mir der nützliche Wortschatz dabei zu klein vorkam und ich darin ein bisschen langsamer war. In meinem Haushalt sprachen meine zwei Erziehungsberechtigten (meine alleinerziehende Mutter und meine Oma) untereinander Sächsisch und mit mir Deutsch. In der Schule sprachen meine Klassenkameraden im Unterricht und mit mir Deutsch, untereinander jedoch Sächsisch mit ein paar Einsprengseln Rumänisch (in etwa vorstellbar, wie Kanak-Sprak in Deutschland).

Ich sprach sowohl Straßenrumänisch als auch Buch-Rumänisch. Ersteres wegen der wilden Kinderjahre in den Gassen Mediaschs und letzteres durch den systematischen Unterricht in rumänischer Sprache und Literatur (5 Wochenstunden). Unsere Rumänisch-Schulbücher waren nicht ganz auf demselben Niveau wie die unserer rumänischen Parallelklassen, man könnte sagen: zwischen Rumänisch für Ausländer und Rumänisch für Muttersprachler. Alle anderen Fächer waren auf Deutsch mit deutschen Lehrern.

Meine Mutter konnte ein paar Sätze Straßen-Ungarisch, da sie als Kind eine ungarische Spielkameradin hatte. Die übrigens zu meiner Zeit nur ein paar Häuser weiter von uns wohnte, zusammen mit ihrem rumänischen Mann, ihrer ungarischen Mutter und ihren beiden Söhnen, die beste Freunde waren mit meinen zwei Cousins, deren Familie mit uns den Hof teilte. Ein anderer ungarischer Spielkamerad meiner Mutter wohnte auch in der Nähe, aber mit dem hatten wir möglichst wenig Kontakt, da er Alkoholiker war. Ich wusste immerhin „Jó napot“ (Guten........

© Die Kolumnisten