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Rechts, männlich, aggressiv: Was ist in Ostdeutschland schiefgelaufen?

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Die AfD steht in Ostdeutschland in manchen Regionen bei 40 Prozent. Diesen Sommer gab es dort zudem erneut zahlreiche Neonazi-Proteste gegen queere Veranstaltungen. Viele der Demonstranten waren sehr jung, männlich und aggressiv. Wie erklären Sie sich das?

Vielen erscheinen die aktuellen Entwicklungen als eine Wiederkehr der Baseballschläger-Jahre der 1990er – sowohl im Auftreten der jungen Leute wie auch in ihrer Geschlechterzusammensetzung. Grundsätzlich würde ich sagen, dass hier eine Ohnmachtserfahrung, die seit 1989 in Ostdeutschland gemacht wird, einmal mehr zum Ausdruck kommt. Die kompensatorische Funktion von Gewalt und eine spezifische Form von Männlichkeit laufen hier eng zusammen.

Diese Wut scheint also auf eine tiefere gesellschaftliche Erfahrung zu verweisen. Von welcher Ohnmacht sprechen Sie genau?

Die kapitalistische Umwandlung der ostdeutschen Wirtschaft ging mit einer Umwälzung der Eigentumsverhältnisse einher. Aus dem Volkseigentum wurde Privateigentum, und dieses ging häufig an westdeutsche Eigentümer. Die ostdeutsche Wirtschaft ist dadurch bis heute strukturell durch verlängerte Werkbänke geprägt. Bei diesen ist der Sitz des Unternehmens räumlich weit entfernt vom Produktionsort, dort kann nur wenig entschieden werden. Forschung, Entwicklung und höherwertige Produktionsschritte finden anderswo statt, es dominieren eher mechanische, einfache, körperlich anstrengende Tätigkeiten, die geringer entlohnt werden. Betriebsräte und Gewerkschaften sind schwächer. Historisch bedingt sind verlängerte Werkbänke außerdem eher männlich geprägt.

Das war nicht immer so.

Im Zuge der Wirtschaftstransformation nach 1989/90 wurden in den ehemals volkseigenen Betrieben zuerst die weiblich dominierten Bereiche aufgelöst – angeschlossene Kindergärten, aber auch Abteilungen für Forschung und Entwicklung oder Verwaltung. Die dort zuvor integrierten Frauen wurden nun zurück in die häusliche Sphäre verdrängt. In bestimmten Branchen entwickelten sich daraufhin sehr männlich dominierte Kernbelegschaften. Die Atmosphäre dort war zunehmend von emotionalen Verhärtungen geprägt.

Worin zeigten sich diese Verhärtungen?

In der Soziologie kursierte der Begriff „Arbeitsspartaner“. Dieser bezeichnet männliche Arbeiter, die nach der Wende ihren Job in verlängerten Werkbänken behalten oder einen Neuen finden konnten. Grundsätzlich zeigten sie sich bereit, alles hinzunehmen. Der „Arbeitsspartaner“ war zugleich kaum für betriebliches Engagement zu gewinnen, weil es seine prekäre Position gefährdet hätte. Nahezu alles wurde dem Erhalt des Arbeitsplatzes untergeordnet. Dafür war man hart gegen sich selbst – und hat diese Härte ebenso an anderen ausgelebt.

Nahezu alles wurde dem Erhalt des Arbeitsplatzes untergeordnet. Dafür war man hart gegen sich selbst – und hat diese Härte ebenso an anderen ausgelebt

Klassenkampf war und ist unter diesen Bedingungen kaum möglich.

Die Belegschaften der 1990er Jahre waren Überlebensgemeinschaften – wie es auch viele Familien waren. Die Interessengegensätze, die in kapitalistischen Verhältnissen normal sind – Arbeiter gegen........

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