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Israel | Zwei Jahre nach dem 7. Oktober 2023: Alles ist besser, als das Schweigen

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Am 6. Oktober 2023 befand ich mich in Paris und bereitete mich auf eine Konferenz zum Thema „Apokalypse“ vor, die in einer Kooperation der Humboldt-Universität zu Berlin mit der Hebräischen Universität Jerusalem stattfinden sollte. In meinem Vortrag wollte ich über die Apokalypse in der hebräischen Literatur sprechen. Ich war für wenige Tage aus meiner Wahlheimat Berlin nach Paris angereist und fühlte mich unruhig in jener Stadt, die noch immer mir gehörte – so wie eine jede Stadt, in der wir einst lebten, für immer uns gehört und einen nicht wegzudenkenden Platz im Mosaik unserer Vergangenheit einnimmt.

In Paris hatte ich in meinen Zwanzigern gelebt. Es war die imaginäre Heimat meiner Großmutter mütterlicherseits gewesen – Judith aus Kairo, deren Muttersprache Französisch gewesen war und die sich zeitlebens als Europäerin verstand, obwohl sie nie auch nur einen Fuß auf europäischen Boden gesetzt hatte. Ganz anders die syrische Seite meiner Familie: Mein Vater, das Nesthäkchen, war bereits in Tel Aviv auf die Welt gekommen, während der Rest seiner Familie noch in Damaskus aufgewachsen war.

Als ich damals nach Paris ging, war meine Großmutter wütend auf mich. Vielleicht war es Neid, dass ihr erstgeborener Enkel das gelobte Land erreichte, das ihr verwehrt geblieben war. Vielleicht empfand sie es auch als ein Eingeständnis ihres Scheiterns als Migrantin. Für ihr Fortgehen bezahlen die meisten Migrant*innen einen so hohen Preis: den Ort ihrer Kindheit, die Luft der alten Heimat, die Sprache, die Landschaft, die Bräuche, die Kultur. Sie trösten sich mit dem Gedanken, dass wenigstens ihre Kinder oder Enkelkinder Einheimische im neuen Land werden. Autochthone. Ich war ein Plan, der misslang.

Doch das Leben überrascht uns. Die Liebe, die ich in Paris fand – Dory, ein Israeli wie ich –, führte mich zurück nach Tel Aviv, bis ich auch diese Stadt verließ und wir nach Berlin zogen. Hier gründeten wir Altneuland, den ersten hebräischen Verlag außerhalb des Staates Israel. Schon Anfang 2023 hatten wir davon gesprochen, doch im September desselben Jahres wurden wir von einem Gefühl der Dringlichkeit erfasst. In den ersten Oktobertagen 2023 unterzeichneten wir die ersten offiziellen Dokumente zur Verlagsgründung.

Während........

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