Generationen | Der Gulag im Körper: Kaśka Brylas Roman der Erschöpfung
Die Sätze fließen nur so über das Papier, schreiben sich fort von Seite zu Seite; so lang sind die Sätze, dass sie sich dem griffigen Zitieren widersetzen: Sie wollen nicht isoliert werden. In Kaśka Brylas Roman Mein Vater, der Gulag, die Krähe und ich entfaltet sich eine atemlose Erzählung. Nicht nur oberflächlich betrachtet ist sie das Sinnbild für eine Erzählerin, die kaum Luft bekommt.
Bryla hat den inneren Monolog einer Erschöpften geschrieben. Er verwebt die Angst und Isolation in Anbetracht einer geheimnisvollen Infektion, die einfach nicht vergehen will, mit dem Schicksal des Vaters. Als junger Mann als Mitglied der polnischen Untergrundarmee in den Gulag verfrachtet, wusste er Geschichten zu berichten: von Freiheitskampf und stalinistischem Terror, von Mut und Verzweiflung in Anbetracht des Großmachtstrebens Deutschlands und der Sowjetunion, die Polen immer wieder mit großer Brutalität untereinander aufteilten.
So spinnt sich ein Faden von der Vergangenheit in die Gegenwart: „Bloodlands“, so nannte Timothy Snyder die polnischen, ukrainischen und belarussischen Gebiete, auf denen Deutsche und Sowjets Massenmorde an der Bevölkerung verübten. Die Bloodlands sind nicht nur Geschichte, wie der russische Angriffskrieg auf die Ukraine beweist.
Im Text spricht die Tochter mit dem imaginären Vater, während sie sich gezwungenermaßen auf dem Bauwagenplatz, den sie bewohnt, isoliert. Es ist der erste Pandemie-Sommer, ihre........
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