Zum 100. | Wolfgang Heise: Marxist mit offenem Geist und wichtigster Philosoph der DDR
Es ist heute wieder en vogue, sich mit der kritischen DDR-Kultur zu beschäftigen: Die Schriftstellerinnen Maxie Wander und Brigitte Reimann werden wiederentdeckt, Christa Wolf und Heiner Müller waren nie weg, und spätestens seit der Spielfilm über Thomas Brasch bei sämtlichen deutschen Filmpreisen abgeräumt hat, scheint DDR-Geschichte sogar hollywoodtauglich zu werden – abseits der bisher obligatorischen Stasi-Melodramatik. Derzeit ist auch im hyperkapitalistischen Ausstellungsraum Fotografiska, der auf dem ehemaligen Tachelesgelände in Berlin-Mitte verlässlich jede Fotokunst zu verdaulichen Afterwork-Kulturhäppchen umfunktioniert, eine Werkschau der großartigen ostdeutschen Fotografin Helga Paris zu sehen.
Was Besucher und Besucherinnen dort sicher nicht zu Gesicht bekommen, ist ein Foto, das die Künstlerin Anfang Oktober 1985 gemacht hat: Es zeigt eine Gesellschaft, die zum 60. Geburtstag des Philosophen Wolfgang Heise zusammengekommen war – und die einen Querschnitt der damaligen literarischen, künstlerischen und wissenschaftlichen Intelligenz in Ostberlin darstellt. Es sitzen da unter anderem, gruppiert um die Gastgeber, die Schriftsteller Christa und Gerhard Wolf, der Komponist Friedrich Goldmann oder der Romanist und Kulturphilosoph Carlo Barck.
Das offene Haus, das Wolfgang Heise und seine Frau Rosemarie im Berliner Vorort Hessenwinkel führten, galt seinerzeit unter Eingeweihten als eines der wichtigen Kommunikationszentren des „unruhigen Geisteslebens“ der DDR. Hier wurde die sozialistische Staatsmacht kritisch an den emanzipatorischen Idealen gemessen, mit denen man nach dem Ende der Nazidiktatur angetreten war. Es konnte und sollte subversiv gedacht und offen gesprochen werden – ein........
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