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Im Gespräch | Philosophin Lea Ypi: „Heimat ist auch eine verlorene Zeit“

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15.09.2025

Mit Frei schrieb Lea Ypi vor vier Jahren einen Bestseller über ihre Kindheit im sozialistischen Albanien und das „Erwachsenwerden am Ende der Geschichte“. Erst als das System kollabiert, erfährt sie, wie verschlüsselt die Alltagskommunikation der Erwachsenen unter der Diktatur war.

Ihr neues Buch Aufrecht (Suhrkamp 2025) erzählt nun die Vorgeschichte ihrer Großmutter Leman Ypi, von deren Geburt 1918 in Thessaloniki über ihr Auswandern 1936 nach Albanien und zu dem, was folgte. Auch Lea Ypi selbst ist im Buch wieder präsent: Durch Kapitel, in denen sie ihrer inzwischen verstorbenen Großmutter heute hinterherrecherchiert.

der Freitag: Frau Ypi, Ihr Buch erscheint fast zeitgleich mit sehr unterschiedlichen Titeln. In Großbritannien, wo Sie leben, lautet er „Indignity“, was mit Demütigung oder Erniedrigung übersetzt werden kann. In Deutschland lautet er „Aufrecht“.

Lea Ypi: Es fiel mir sehr schwer, ein deutsches Wort zu finden, das „indignity“ wirklich entspricht. Mein Buch handelt vom Versuch, ein würdevolles Leben zu führen, wenn die äußeren Umstände das zu verhindern scheinen. Bei der deutschen Ausgabe verdeutlicht das der Untertitel: „Überleben im Zeitalter der Extreme“. Ich denke, beide Titel vermitteln, was es kostet, sich seine Integrität zu bewahren, rechtschaffen zu handeln und den Kopf oben zu behalten. Mir war wichtig, dass die Titel vermitteln, dass es nicht einfach um ein philosophisches Konzept geht, sondern um das, was für Einzelne daraus folgt. Im Englischen ist übrigens auch der Untertitel sehr anders: „A life reimagined“.

Die Ambivalenz ist noch schwerer ins Deutsche zu übertragen: Es kann bedeuten, dass ein Leben neu interpretiert wird oder dass es neu ausgedacht wird. Auslöser ist ein Foto, das ein Fremder in den sozialen Medien postet: Es zeigt Ihre Großmutter Leman 1941 in den Flitterwochen in Cortina im faschistischen Italien, sie trägt einen Pelzmantel und sieht glücklich aus, was zu Spekulationen und abfälligen Kommentaren führt, einer verdächtigt sie der Kollaboration. Sie versuchen dann in Staatsarchiven in Albanien und Griechenland herauszufinden, ob Ihre Großmutter eine andere Person war, als Sie dachten.

Es geht um eine Tote und die Frage, wer sie eigentlich war und was ihr Vermächtnis ist. Sie selbst ist nicht mehr da, um zu erklären, wer sie war. Und so gibt es unterschiedliche Autoritäten und ihre........

© der Freitag