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Er sagt, sie sagt, er sagt: Die Geschichte einer mutmaßlichen Doppelvergewaltigung

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22.03.2024

Als sich Katrin S.* auf den Stuhl in der Mitte des Raumes gesetzt hat, erinnert sie die Richterin daran, dass sie vor Gericht die Wahrheit sagen müsse. „Sie dürfen sich nichts ausdenken“, sagt sie. Wenn Katrin S. etwas nicht mehr richtig wisse, solle sie das lieber zugeben. Als Richterin sage sie das zu jedem Zeugen, nicht nur zu ihr. „Jeder hat seine eigene Version der Geschichte.“

Katrin S. nickt, hinter ihr im Saal 807 des Landgerichts Berlin sitzt ihr Vater, der aus dem Ruhrgebiet mit angereist ist. Er wird ihr manchmal links und rechts von hinten die Arme streicheln. Dann stellt die Richterin die erste Frage: „Wie hat sich seit Ihrer Vernehmung durch das Amtsgericht Ihr Leben entwickelt?“

Katrin S. beginnt zu erzählen: „Ich würde sagen, die Sache hat mich mein Abitur gekostet. Ich konnte lange nicht schlafen, meine Mutter musste mit mir wach bleiben.“ Sie erzählt von Angstattacken, von Monaten, in denen sie das Haus der Eltern nicht verlassen habe, und von Problemen, Menschen zu vertrauen, die sie neu kennenlernte. „Das ging bestimmt eineinhalb Jahre so“, sagt sie. Dann habe sie eine Therapie gemacht und sei für ein Jahr in die USA gezogen. Als sie danach zurückkam, sei vieles leichter gewesen. Jetzt lebt sie mit ihrem Freund zusammen. „Nur bei bestimmten Gerüchen oder Berührungen kommt noch einmal alles hoch.“

Was Katrin S. hier „die Sache“ und „alles“ nennt, ist das, was ihr in der Nacht vom 11. auf den 12. September 2020 passierte. Sie verließ gegen ein Uhr morgens ein Hotel am Alexanderplatz in Richtung Spandau mit einem Freund. Als sie zurückkam, brach sie noch im Türrahmen des Hotelzimmers zusammen und rief: „Ich bin vergewaltigt worden!“ Das bestätigen alle drei Freunde, die ebenfalls vor Gericht ausgesagt haben. Sie setzten sich auf das Bett, Katrin S. ließ sich trösten und fasste den Entschluss, zur Polizei zu gehen.

Ungewöhnlicher Prozess um eine Vergewaltigung: „Sie war gar nicht mein Typ“

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Schon allein das macht ihren Fall besonders, denn laut Statistiken des Opferverbands Weißer Ring wird nur jede 15. Vergewaltigung bei der Polizei angezeigt. Zu groß ist bei vielen Frauen die Scham vor genau der Prozedur, der sich Katrin S. schon damals in Berlin unterziehen musste: eine ärztliche Untersuchung, eine Befragung durch Polizistinnen noch am Tag der Tat, eine weitere Befragung durch die Berliner Justiz Monate später. Und eben dieses Verfahren, das mehrere Wochen dauern und viele Erinnerungen zurückbringen wird. Die Frage, die auch über diesem Verfahren steht, ist: Lohnt sich der Aufwand? Wird das Verfahren ihr Leben danach leichter machen?

Es gibt Fakten, die im Laufe des Prozesses unstrittig sind. Dazu gehört, wie alles begann: Vier Kölner Freunde, zwei Jungen, zwei Mädchen, waren zu Besuch in Berlin, sie teilten sich ein Hotelzimmer am Alexanderplatz. Am Freitagabend saßen sie am Brunnen auf dem Platz und lernten die beiden Angeklagten kennen: Mohammed A. und Imra K., die sich als Maurice und Deniz vorstellten.

Katrin und ihr Kumpel Kiki folgten der Einladung der beiden Männer zu einer Party in einer Russenkaserne im Umland von Berlin. Sie verabredeten sich am Bahnhof Spandau, wo die beiden Männer mit einem Motorrad und einem Sportwagen auftauchten. Kiki stieg bei Imra K. ein, Katrin stieg aufs Motorrad von Mohammed........

© Berliner Zeitung


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