Zensur auf offener Straße: Wenn Sprache genügt, um Hass zu entfachen
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Berlin ist eine der Städte, in der die Bewohner stolz auf die Zugehörigkeit zu ihrem Kiez sind. Solche Städte mag ich, denn ich komme selbst aus einer ähnlichen. Im Vergleich zu Berlin ist meine Stadt beinahe unsichtbar auf der Landkarte. Sie zählt etwa 215.000 Einwohner und sie ist die Hauptstadt eines Landes, das insgesamt so viele Einwohner hat wie die Berliner Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg und Lichtenberg zusammen. Der Name dieser Stadt ist Podgorica, und das Land heißt Montenegro.
Doch für kulturelle und subkulturelle Phänomene sind große Zahlen nicht entscheidend. Meine Stadt, auf den ersten Blick für viele nicht besonders schön, ist in Wirklichkeit ein aufregender Ort – ein raues Umfeld kontinental-mediterranen Typs, in dem man alles findet, was Städte zu bieten haben, nur eben im Maßstab ihrer eigenen Größe.
„Töte den Serben“: Wenn Versöhnung im Fußballstadion scheitert
10.09.2025
Keine Stunde vom Meer entfernt, ist sie im Sommer höllisch heiß, im Winter regnerisch und trüb. Ich halte mich oft dort auf, weil ich mit der lokalen Kunstszene verbunden bin. Deshalb habe ich nie aufgehört, mich gleichzeitig als Bewohner Berlins und als Bewohner Podgoricas zu fühlen.
Das Viertel, in dem ich in Podgorica lebe, grenzt an das vielleicht interessanteste Viertel meiner Stadt. Dieses Viertel heißt Zabjelo. Es entstand am damaligen Stadtrand, entlang der Ränder einer einst großen und erfolgreichen Aluminiumfabrik. Für die vielen Arbeiter und ihre Familien wurde auf den Wiesen, die die Stadt damals umgaben, ein neues Viertel errichtet. Der jugoslawische Sozialismus befand sich auf seinem Höhepunkt, die Fabriken liefen, die Arbeiter lebten ihren kurzen Traum: Sie bekamen Wohnungen vom Staat, hatten anständige und stabile Gehälter, bezahlten Winter- und Sommerurlaube.
Dann verwandelte sich der Traum in einen Albtraum, Jugoslawien zerfiel, und die Transformation zum Kapitalismus machte aus den einst großen Fabriken Ruinen, die später im Rahmen klassischer Übergangsprozesse zu Spottpreisen an dubiose Geschäftsleute verkauft wurden – Prozesse, durch die viele zu ihren ersten Millionen kamen. Währenddessen lebten die ehemaligen Arbeiter und der Großteil der durchschnittlichen Bevölkerung in Angst vor dem Krieg und in Armut.
In den turbulenten und düsteren 1990er-Jahren – in Krieg führenden Staaten des ehemaligen Jugoslawien oder in solchen am Rande des bewaffneten Konflikts, wie Montenegro – entstanden neue........
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