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Kriegskindheit in Wien: Zwischen Bomben und Schokolade

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06.04.2025

Steffy sitzt beim Esstisch zurückgelehnt, die Füße auf einem Stuhl. Die 83-Jährige spricht langsam, mit ruhiger Stimme, ganz konzentriert auf die Details ihrer Kindheit, die sie mir gleich erzählen wird. „Ich war vier Jahre alt, als der Krieg zu Ende ging. Aber die Erinnerungen sind so klar, als wäre es gestern gewesen.“ Dann fügt sie schulterzuckend hinzu: „Und trotzdem – es war eine schöne Kindheit.“

Eine Aussage, die aus heutiger Sicht kaum nachvollziehbar ist, wie das kommende Gespräch zeigen wird.

Steffys Vater Wilhelm wurde schon vor Steffys Geburt 1941 als Wehrmachtssoldat in den Krieg eingezogen. „Ich habe ihn nie kennengelernt. Er war in der Schlacht bei Stalingrad und wurde dann lange vermisst.“

Die Familie wartet, hofft. Doch es gibt keine Nachricht, kein Lebenszeichen. Irgendwann muss Steffys Mutter eine schwere Entscheidung treffen. „Sie hat ihn für tot erklären lassen, nicht, weil sie es gewollt hat. Es hat sein müssen.“ Denn damals lag das Sorgerecht nicht automatisch bei der Mutter, sondern beim Vater. Und in diesem Fall dann beim Jugendamt. „Solange mein Vater offiziell vermisst war, hat er als lebend gegolten, sodass meine Mutter kein Sorgerecht für mich gehabt hat.“ Erst nach dem Krieg erfuhren Steffy und ihre Mutter, dass Wilhelm Franke am Weg nach Stalingrad im Winter 1942/43 wegen eines erfrorenen Beines zurückgelassen wurde.

Es war eine harte Zeit für Steffys Mutter: Vor dem Krieg hat sie eine Handelsakademie besucht. „Die Schule war sehr teuer und der Schulplatz meiner Mutter ist von einem großzügigen jüdischen Ehepaar finanziert worden, bei dem meine Großmutter Putzfrau war“, erinnert sich Steffy an die Erzählungen ihrer Mutter. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1938 ändert sich die Situation schlagartig. Das jüdische Paar muss flüchten. Die erst 22-Jährige bleibt ohne finanzielle Unterstützung zurück und bricht ihre Ausbildung ab. Bald darauf wird sie von den Nazis zum Arbeitsdienst nach Ingolstadt in Deutschland verschickt, wo sie Bauern helfen muss. 1940 lernt Steffys Mutter Wilhelm Franke kennen, 1941 heiraten sie in einer Ferntrauung, denn Wilhelm ist schon an der Front.

Während Wilhelm im Krieg kämpft, will Steffys Mutter keine Hilfe von der Familie ihres Mannes annehmen. „Dort sind die Nazis ein und aus gegangen, Essen wurde unter dem Bett gebunkert, während alle anderen Menschen hungern mussten. An Teilen haben sie nicht einmal gedacht Meine Mutter hat lieber gehungert, als etwas von ihnen anzunehmen.“ Als ihre Schwiegermutter später einmal sagte, ihr Sohn Wilhelm sei den Heldentod gestorben, war es für Steffys Mutter zu viel. Die Trennung zu diesem Teil der Familie war endgültig: Bis heute gibt es keinen Kontakt zu Wilhelms Schwester Hella, die einen wohlhabenden Transportunternehmer heiratete, oder zu deren beiden Töchtern.

Ein prägendes Erlebnis für Steffy war, als sie mit ihrer Mutter ein paar Tage aufs Land in den Böhmerwald geschickt wurde, um sich zu „erholen“. Wann genau das war, weiß Steffy heute nicht mehr. Und auch nicht, wieso das überhaupt möglich war, obwohl ihre Mutter als Nazi-Gegnerin normalerweise Hilfe durch das Regime rigoros ablehnte. Sie vermutet, dass es mit der schlechten finanziellen Lage zu tun hatte und ihre Mutter diese Chance nutzte, um Steffy aufpäppeln zulassen. „Ich war sehr, sehr dünn. Sie hat wahrscheinlich Angst um mich gehabt und gedacht, die frische Luft und ausreichend Essen werden mir helfen.“

Sie sollten in einem Haus untergebracht werden, nur war dort kein Platz. „Wir haben in der Waschküche schlafen müssen. Und dann sind die Mäuse gekommen. Sie sind die ganze Nacht auf mir herumgeklettert. Aber mir hat das nichts ausgemacht. Und meiner Mutter auch nicht.“

Essen war ein ständiges Problem. „Ich kann mich nicht erinnern, jemals satt gewesen zu sein.“ Steffys Mutter versucht alles, um Essen aufzutreiben. Sie fährt aufs Land, tauscht Wertgegenstände gegen Nahrungsmittel. „Die Bedingungen für die Hamsterkäufe waren oft ungerecht. Ein goldener Ring für einen Laib Brot – aber wenn du Hunger hast, diskutierst du nicht. Die Bauern haben uns das Weiße aus den Augen genommen, die haben unsere Not ausgenützt.“ Nicht alles, was sie bekommt, ist aus heutiger Sicht genießbar: „Sie hat Bohnen mitgebracht.........

© Wiener Zeitung