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Kosovo – ein junges Land sucht seinen Weg

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„Früher haben wir immer von der Welt gelesen, heute können wir sie auch erleben“, erzählt Engjëll, mit Stolz, aber auch sichtbarem Frust im Gespräch mit der WZ. Engjëll ist in den Dreißigern, lebt in Pristina und arbeitet für das „Europe House“, einem aus EU-Geldern finanzierten Treffpunkt, an dem über Europa gesprochen wird und man Zeit zum Austausch findet. Er gehört zu einer Generation, die das eigene Land kaum bis nie verlassen konnte, Landesgrenzen waren oft unüberwindbar. Erst seit letztem Jahr gibt es für kosovarische Staatsbürger:innen Visafreiheit im Schengen-Raum. Bis dahin mussten sie unter erheblichen finanziellen und zeitlichen Anstrengungen Visa beantragen, um in die EU einreisen zu dürfen. „Für mich ist es fast schon zu spät, ich konnte nicht im Ausland studieren oder schnell einmal Freund:innen besuchen, die Jugend hat jetzt diese Chance.“

Und auch sonst ticken die Uhren im Kosovo anders. Der Kosovo wird derzeit von 117 der 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen anerkannt, darunter die meisten EU- und NATO-Staaten, während rund 90 Länder – darunter Serbien, Russland und China – die Unabhängigkeit nicht anerkennen und ihn als Teil Serbiens sehen. Der Großteil der Bevölkerung sieht sich als albanisch, daneben gibt es auch serbische, türkische, bosnische, ägyptische und Roma-Communities. Sprachbarrieren, Identitätsfrage, Zukunftsängste: Kosovos Jugend steht vor Herausforderungen. Mit einem Medianalter von 32 Jahren und etwa 55 Prozent der Bevölkerung unter 30 spiegelt sich in Europas jüngstem Land ein vielfältiges Potenzial, aber auch die Notwendigkeit, strukturelle Probleme wie Arbeitslosigkeit oder begrenzte Perspektiven eigenständig zu meistern.

Rund 95 Prozent der Bevölkerung im Kosovo sind muslimischen Glaubens, meist sunnitischer Prägung, kleinere christliche Minderheiten machen etwa 5 Prozent aus. Kosovo, und besonders seine Hauptstadt Pristina, kann auch als Beispiel für gelebte Vielfalt gelten. Zwischen Moschee und dem queeren "Bubble Pub" zeigt sich die Vielfalt der Stadt: Menschen mit und ohne Kopftuch, Studierende und Aktivist:innen teilen den selben Raum, auch wenn sie nicht immer die selbe Perspektive haben.

Ilir Vitija, Programm- und Entwicklungskoordinator der Jugendinitiative für Menschenrechte Kosovo (YIHR), spricht in diesem Zusammenhang von einem „Miteinander in Vielfalt“. Der Islam, wie er hier praktiziert werde, sei eine europäische Ausprägung, erklärt er. Man wisse um die Verschiedenheit von Glauben, Sprachen und Identitäten – und habe gelernt, damit umzugehen.

Auch die Pride-Bewegung hat in Pristina ihren Platz gefunden. Jährlich ziehen Aktivist:innen durch die Innenstadt, um Sichtbarkeit und Gleichberechtigung einzufordern – bislang ohne nennenswerten Widerstand. Vor allem von politischer Seite bleibt die Ablehnung weitestgehend aus, anders als etwa im benachbarten Serbien.

Der Wunsch nach Unabhängigkeit von Serbien durchzieht die Gesellschaft, spaltet manche Region, und der Kosovokrieg der 1990er-Jahre hat seine Spuren nicht nur im Gedächtnis der Menschen, sondern auch in der Infrastruktur hinterlassen. Die USA sind hier nicht bloß das Land........

© Wiener Zeitung