Schlechtes Image trotz Jobgarantie: Wie wird Pflege cool?
Rund 51.000 zusätzliche Pflege- und Betreuungspersonen braucht Österreich bis 2030, um die aktuelle Versorgungssituation aufrecht erhalten zu können. Bis zum Jahr 2040 sind es mehr als doppelt so viele und bis 2050 sogar viermal so viele. Abgesehen davon, dass der jetzige Zustand des Pflegesystems von vielen schon als sehr kritisch bezeichnet wird: Wie bekommen wir innerhalb von fünf Jahren 51.000 Menschen und innerhalb von 25 Jahren fast 200.000 Menschen in die Pflege und Personenbetreuung, wo aktuell etwas mehr als 127.000 beschäftigt sind?
Derzeit absolvieren jedes Jahr etwas weniger als 5.000 Personen eine Pflegeausbildung – bei einem „weiter wie bisher“ wären das 125.000 neue Pflegekräfte bis 2050, also um 75.000 zu wenig. Für Helmut Lutz, Geschäftsführer des mobilen Pflegedienstes Malteser Care, ist es schon fünf nach zwölf: „Wir sind vor Jahren ohne Fallschirm aus einem Flugzeug gesprungen, und die Politik versäumt es, zumindest irgendwo einen Strohhaufen hinzulegen, damit wir mit dem Pflegesystem nicht komplett detonieren“, findet er drastische Worte. Die Pflegereform der vorherigen Regierung sei ein wichtiger Schritt gewesen, „aber es ist bei weitem nicht genug. Vor allem, wenn man bedenkt, dass jeder Hebel, den man umlegt, erst Jahre später eine Wirkung zeigt.“
Es ist ein Teufelskreis, in dem sich die Pflege befindet: Der chronische Personalmangel in vielen Bereichen sorgt für schlechte Arbeitsbedingungen – die wiederum fehlende Pflegekräfte abschrecken. Laut einer Sora-Studie halten es zwei Drittel aller befragten Pflegekräfte für unwahrscheinlich, dass sie ihren Beruf bis zur Pension ausüben werden, und 15 Prozent haben konkrete Absichten, zumindest den Tätigkeitsbereich oder überhaupt den Job zu wechseln.
Die Leidtragenden sind die Pflegebedürftigen und ihre Familien. Einerseits spricht Helmut Lutz von „Drehtürpatient:innen, die aus wirtschaftlichen Gründen vom Spital in einem Zustand nach Hause entlassen werden, wie es noch vor einigen Jahren denkunmöglich war. Wir sprechen hier von Personen, die daheim keinerlei Versorgungssituation haben und oft keine 24 Stunden später wieder vom Hausarzt ins Spital eingewiesen werden müssen.“ Andererseits gibt es in Österreich schon jetzt gut eine Million pflegende Angehörige. Und ihre Zahl steigt kontinuierlich, je größer die Pflegelücke wird – mit allen Konsequenzen von Altersarmut bei Frauen bis hin zu Young Carers, deren Schulbildung darunter leidet. Allein deshalb sei rasches Handeln geboten, mahnt Helmut Lutz: „Für jeden Euro, den wir hier investieren, bekommen wir ein Vielfaches zurück.“
Was aber ist konkret zu tun? Wie lässt sich die Situation verbessern? Was würde die Pflege attraktiver vor allem für junge Leute machen? Das wollte die WZ von jungen Pflegekräften aus verschiedenen Bereichen wissen. Was dabei oft zu hören war: Die Pflege ist eigentlich besser als ihr Ruf.
Aber das müsse man halt vermitteln, meint Tobias (25). Der Stationshelfer in einem Pflegeheim würde sich mehr Aufklärung wünschen, „was Pflege wirklich bedeutet. Viele haben keine richtige Vorstellung davon. Das Waschen, auf das sie oft reduziert wird, macht nur einen Bruchteil unserer Tätigkeit aus.“ Tanja (37), diplomierte Pflegerin in einer Notfallstation, ergänzt: „In der Pflege bist du nicht nur medizinisches Personal, du bist auch Psychologin, Angehörigenbetreuerin, Krisenmanagerin, Pharmazeutin.“
Und Pflege ist nicht gleich Pflege: Im Krankenhaus ist das Setting ganz anders als in einem Seniorenwohnheim, in mobilen Diensten bei den Patient:innen daheim oder in der 24-Stunden-Personenbetreuung. „Wenn man vermitteln würde, wie viele verschiedene Sparten es hier gibt, könnte man auch mehr Männer dafür motivieren“, ist Tanjas Kollege Max (27) überzeugt. Hier ist noch viel Potenzial auszuschöpfen, denn Männer machen weniger als 15 Prozent der Personen aus, die im........
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