Der Vibe: Arm sein
„Mein Kind, es tut mir leid, ich habe keine zehn Euro.“ Diese Worte ihres Vaters haben sich tief in Elenas Erinnerung eingebrannt. Tränen steigen ihm in die Augen, überwältigt von der Scham, seiner Tochter nicht einmal diesen kleinen Betrag geben zu können. „Vielleicht mache ich nächste Woche Trinkgeld und kann dir dann etwas geben“, sagt er leise – ein Satz, der wie ein Hoffnungsschimmer wirken soll, aber nur Leere hinterlässt. Es ist eine Szene, die sich öfter wiederholt: Elena bittet um etwas Geld, um mit Freund:innen auszugehen und häufig endet es im selben Schmerz. Ihr Vater weint, weil er sie enttäuschen muss. Sie schämt sich, weil sie ihn überhaupt gefragt hat. Und am Ende bleibt ein Gefühl, das beide kennen: Ohnmacht.
Elena ist mit ihrem Erlebten nicht allein, denn in Österreich ist Armut längst kein Randthema. Laut der Caritas Österreich leben etwa 336.000 Menschen in absoluter Armut. Das bedeutet, sie können grundlegende Bedürfnisse wie Miete, Heizen und Lebensmittel nicht decken. Währenddessen sorgt auf TikTok eine Influencerin für Aufregung: Sie behauptet, sie habe FOMO (Fear of missing out, also die Angst etwas zu verpassen), weil sie nicht im Plattenbau aufgewachsen ist, das sei für sie ein „Vibe“. Diese Art der Romantisierung von Armut ist nicht neu – sie zieht sich durch Serien, Kunst, Musik und jetzt durch TikTok.
Elena ist in einer kleinen Wohnung im 20. Bezirk in Wien aufgewachsen. Zwei Zimmer für vier Personen, ein schmaler Durchgang als Küche, in dem sich auch die Dusche befand, und eine Gemeinschaftstoilette am Gang. Damit Elena und ihr fünf Jahre älterer Bruder ein gemeinsames Kinderzimmer haben konnten, schliefen die Eltern im Wohnzimmer. Privatsphäre oder ein Rückzugsort, um in Ruhe Hausaufgaben zu erledigen, gab es nicht. Freund:innen mit nach Hause nehmen, war für sie ebenfalls unvorstellbar: „Ich habe mich immer zu sehr geschämt, um meine Freunde zu mir nach Hause einzuladen, weil unsere Wohnung so klein war“, erzählt die heute 31-Jährige.
Die finanzielle Lage ihrer Familie war instabil: Zeiten, in denen es etwas besser lief, wurden immer wieder von Phasen abgelöst, in denen jeder Cent doppelt gezählt werden musste. „Gehungert haben wir aber nie“, betont Elena. Dinge wie eine kaputte Waschmaschine lösten jedoch Tränen der Verzweiflung bei ihrer Mutter aus. Das Geld für eine Reparatur fehlte, also wurde über Monate auf die Waschküche im Bau ausgewichen. Elena erinnert sich besonders an den Einsatz ihrer Mutter, die stets........
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