Österreichs Kolonialismus kommt nicht zum Geschichtetest
Austro-Kolonialismus wird in der Schule so gut wie nicht behandelt. Und das, obwohl auch Österreich bis ins 20. Jahrhundert hinein versuchte, seinen Einfluss jenseits der europäischen Grenzen auszudehnen, und massiv vom Kolonialismus anderer Länder profitierte. Schulbücher verschweigen diese Vergangenheit.
In Österreich lernt man in der dritten Klasse der Oberstufe über Kolonialismus, im Normalfall sind die Schüler:innen also 12 bis 14 Jahre alt. Für genau diese Schulstufe hat die Linguistin und langjährige Geschichtelehrerin Ilse Porstner das Lehrbuch „Überall Geschichte“ mitgestaltet. Laut ihr bilden Schulbücher die Basis des Unterrichts, ihr Inhalt spielt also eine wichtige Rolle. Anstatt Neuerungen im Lehrplan aktiv nachzuverfolgen, würden sich viele Lehrpersonen darauf verlassen, dass die Bücher dementsprechend angepasst wurden.
Kolonialismus wird aber je nach Geschichtsbuch recht einseitig dargestellt. Manche Ausgaben widmen der Suche von Kolonialmächten nach wertvollen Rohstoffen wie Diamanten und Öl ganze Seiten, während das gleichzeitige Leid der indigenen Bevölkerung eine Randbemerkung bleibt. Was sie alle eint: Österreichs Beteiligung am Kolonialismus wird nicht erwähnt, ist nicht in Karten eingezeichnet und wird im Fall von „Mehrfach Geschichte“ sogar bestritten: „Österreich-Ungarn hatte keine Kolonien in Außereuropa, sah aber den Balkan in Südosteuropa als sein Einflussgebiet an“ – so heißt es auf Seite 62 und so wird es derzeit auch für den Geschichtetest gelernt.
Aber stimmt das auch? Die geläufige Antwort in Österreich scheint „Ja“ zu sein. „Bis in höchste politische Kreise vertritt man den Topos von der ‚Nicht-Beteiligung Österreichs am Kolonialismus‘. Sogar aus Ministermund wird das verkündet“, sagt Porstner zur WZ. Sie spielt damit auf den Besuch von Außenminister Alexander Schallenberg in Ghana im Herbst 2024 an, bei dem er in einem Interview mit dem ORF behauptete, dass Österreich keine Kolonialgeschichte habe. „Wir kommen ohne historischen Rucksack hier an“, erklärte Schallenberg. „Das scheint generell der österreichischen Tendenz zu entsprechen“, meint Porstner dazu. „Vor nicht allzu langer Zeit waren wir ja auch die ersten Opfer des Nationalsozialismus. Da haben wir auch keine Beteiligung in den Schulbüchern gesehen.“
Österreich hat aber eine koloniale Vergangenheit. „Wir waren wie immer ein bisschen patschert und zu spät“, sagt Vanessa Spanbauer zur WZ. Die Historikerin, die sich vor allem mit Themen wie Kolonialismus, schwarze Menschen in Österreich sowie Gleichbehandlung und Diversität beschäftigt, kritisiert, dass Kolonialismus in Österreich abgetan wird mit: „Wir hatten keine Kolonien, damit ist die Sache erledigt.“ Das stimmt aber nicht. Es gab durchaus Versuche, Kolonien zu gründen, auch wenn diese letztendlich keinen Bestand hatten.
So erklärte die von Erzherzogin Maria Theresia eigens hierfür gegründete Triestiner Ostindische Handelskompanie im 18. Jahrhundert einige Nikobaren-Inseln in Südostasien zur Kronkolonie. Bis Österreich nach wenigen Jahren das Territorium an Dänemark abtrat. Ebenfalls Ende des 18. Jahrhunderts erwarb die Handelskompanie die Delagoa-Bucht in Ostafrika, hauptsächlich um Elfenbein zu exportieren. Nach wenigen Jahren ging dieses Gebiet an Portugal.
Darüber hinaus gab es zahlreiche Expeditionsfahrten, die auch dazu dienten, die Möglichkeiten der kolonialen Expansion auszuforschen. Viele Objekte wurden mitgebracht, die noch heute in unseren Museen zu finden sind. Pflanzen, Tiere und Mineralien finden sich darunter, aber auch Kunstobjekte, wie etwa die berühmten Bronzefiguren aus dem ehemaligen Königreich Benin, die nach wie vor im Weltmuseum in Wien ausgestellt sind. Menschen wurden auf den Expeditionsfahrten und in den Kolonien versklavt und nach Österreich verschleppt. „Damit müsste man sich auseinandersetzen“, sagt Spanbauer.
Ebenso mit unserer Wirtschaftsgeschichte. Es gab Kolonialwarenläden, viele........
© Wiener Zeitung
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