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Trumps Geschichtsumschreibung: Ein verstörendes Faszinosum

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03.03.2025

Es gibt diese Tage, an die erinnert man sich ein Leben lang. Daran, was man gerade machte, wo man war, als einen diese bestimmte Nachricht erreichte. So war das, als die USA am 11. September 2001 durch mehrere und koordinierte Terrorangriffe getroffen wurden. Bei mir in Oakland klingelte frühmorgens das Telefon. Am anderen Ende war ein Redakteur eines Radiosenders, der mich fragte: „Was ist denn bei euch da drüben los?“ Etwas verschlafen fragte ich zurück, was denn los sein solle? Er meinte nur, mach mal den Fernseher an und melde dich dann. Die Welt war nach diesem Tag nicht mehr die gleiche.

Schon kurz darauf verbreiteten sich die ersten Verschwörungstheorien. Der israelische Geheimdienst Mossad stecke dahinter, der Einsturz des World Trade Centers sei eine gezielte Sprengung gewesen, die Bush-Administration habe diesen Inside-Job angeordnet, um noch offene außenpolitische Rechnungen begleichen zu können. Selbst der Immobilienmogul Donald Trump verkündete, er habe gesehen, wie Muslime in New Jersey beim Anblick der brennenden WTC-Türme gefeiert und getanzt hätten. Alles Humbug, doch diese Theorien verbreiteten sich, wenn auch nur im kleinen Kreis.

20 Jahre später gab es wieder ein denkwürdiges Ereignis in den USA. Am 6. Jänner 2021 zogen ein paar Tausend Anhänger von Donald Trumps „Save America“-Demonstration in einem Park südlich des Weißen Hauses zum gut drei Kilometer entfernten Kongressgebäude. Trump wollte sich mit seiner Wahlniederlage gegen Joe Biden nicht abfinden und rief seinen Anhängern entgegen: „Wenn du nicht wie die Hölle kämpfst, wirst du kein Land mehr haben.“ Und sie folgten seinem Ruf.

Ich saß an jenem Mittwochmorgen an meinem Schreibtisch. Auf einer Nachrichtenwebsite wurde ein „News Alert“ eingeblendet. Ich ging in die Küche, um mir einen Kaffee zu holen, drehte den Fernseher auf, sah die Bilder. Eine aufgebrachte Menge, die Polizeisperren durchbrach. Rote „Make America Great Again“-Baseballkappen, Fahnen mit Trumps Namen darauf, US-Flaggen und zahlreiche Abzeichen verschiedener Milizgruppen, darunter die III-Percenters und die Oath-Keepers. Live-TV vom Sturm auf das Kapitolsgebäude. Amerika wurde an diesem Morgen im Herzen angegriffen. Die Bilder wirkten wie aus einem Hollywood-Action-Film, doch es war bittere Realität. Der durchaus gewaltbereite Mob wollte die Zertifizierung der Wahl verhindern, den Sieg Joe Bidens, die Niederlage Donald Trumps. „Hang Mike Pence“ war zu hören, Kamerabilder zeigten einen Galgen, der vor dem Kongressgebäude aufgestellt wurde.

Tausende, die an diesem Tag das Kapitol stürmen wollten, glaubten die Lüge von der geklauten Wahl. Donald Trump hatte nach seiner Niederlage noch in der Wahlnacht erklärt: „Wir werden das nicht akzeptieren. Wir gingen davon aus, die Wahl zu gewinnen. Und ganz ehrlich, wir haben diese Wahl gewonnen.“ Trump säte mit seiner Lüge, mit seinen Falschaussagen, mit seinen Klagen vor Gerichten Zweifel am Wahlausgang und bereitete so ganz gezielt den Sturm auf das Kapitol vor. Seine Anhänger:innen waren davon überzeugt, dass der „Deep State“, eine Verbindung aus Bürokrat:innen, Demokrat:innen und „Never-Trumpers“ in den eigenen republikanischen Reihen, das Votum des amerikanischen Volkes manipuliert hatte. Voller Wut und Hass, bereit für einen Kampf, folgten sie dem Ruf Trumps, am 6. Jänner........

© Wiener Zeitung