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Newsletter Netzwerk Recherche 244 vom 29.04.2025

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Liebe Kolleg:innen,

der Journalismus steht mitten im politischen Kreuzfeuer und die Pressefreiheit wird auf eine Art und Weise angegriffen, wie wir es uns vor Kurzem noch nicht hätten vorstellen können. Unsere Glaubwürdigkeit wird immer mehr in Frage gestellt. Wir erreichen immer weniger Menschen mit unseren Recherchen, weil sie sich längst abgewendet haben. Was können wir jetzt tun?

Damit man uns vertraut, kommt es nicht nur auf die Veröffentlichungen an. Sondern auch auf den Weg dorthin. Mein Kollege Jim Mintz und ich habe einen Vorschlag.

Die Idee bezieht sich auf den letzten Bestandteil jeder Recherche. Sie erscheint womöglich radikal, ist aber sehr praktisch und eigentlich einfach umzusetzen: Schluss mit den Last-Minute-Konfrontationen.

Warum genau – abgesehen von den presserechtlichen Minimalvorschriften – halten wir es eigentlich für normal, eine Firma, Behörde oder Person, über die wir recherchieren, erst etwa 48 Stunden vor einer Veröffentlichung mit einem Fragenkatalog zu überraschen? Wie oft ist die Geschichte, der Beitrag in dem Moment eigentlich längst fertig, mindestens im Kopf? Und in wie vielen Fällen könnte die Antwort wirklich noch etwas an unserer Veröffentlichung ändern?

Wir sollten Konfrontationen in der Art und Weise, wie wir sie zur Zeit durchführen, fundamental überdenken. Schon das Wort an sich klingt feindselig. Dabei geht es doch eigentlich darum, einer Person oder Institution zu zeigen, was unsere Recherche über sie zutage gefördert hat. Zu häufig sind es Scheinkonfrontationen, die den Schwarz-Weiß-Journalismus befördern und Zweifel an den Medien verstärken.

Unser Vorschlag: Wir sollten so früh wie möglich mit der Behörde, Firma oder Person, über die wir recherchieren, Kontakt aufnehmen – denn sie weiß naturgemäß deutlich mehr über das, was uns interessiert, als wir selbst. Wir können uns von ehemaligen zu aktiven Mitarbeiter:innen bis zu Verantwortlichen vortasten, ohne uns von der nutzlosen Sorge einschränken zu lassen, dabei „erwischt“ zu werden. In den allermeisten Fällen ist das nämlich reine Verschwendung von Zeit und Energie.

Und wir sollten alles dafür tun, um mit denjenigen, denen wir etwas vorzuwerfen haben, ins Gespräch zu kommen – so früh wie möglich! Das passt nämlich viel besser zu einem ehrlichen Interesse an Aufklärung. Und schafft Vertrauen. Bei Quellen, bei „Rechercheobjekten“ – und bei Leser:innen, die das Ergebnis einer ausgewogenen, ergebnisoffenen Recherche präsentiert bekommen.

Eure
Stefanie Dodt

Stefanies Tipps des Monats

Türöffner der Korruption

Da ich ab dem Sommer aus und über die Schweiz berichte, kommen meine Tipps diesmal aus unserem Nachbarland. Hat sich in der Schweiz etwas verändert – oder kann hier bis heute illegales Geld aus aller Welt versteckt werden? Die starke Antwort des gemeinnützigen Recherche-Teams von „Reflekt“: Zwei Drittel der undercover kontaktierten Vermögensverwalter, Anwälte und Treuhänder boten schon im Erstgespräch unfassbar ungeniert Ideen zur erfolgreichen Geldwäsche an. Zitat: “Anything is possible”. Das beste Update zum Finanzplatz Schweiz nach den Panama Papers.

Wenn sogar der Roboter unterschreibt

Um das vermeintliche Herzstück der Schweizer Demokratie – die Volksinitiativen – drehen sich schon seit einiger Zeit Skandale. Zuletzt deckte der Tagesanzeiger Fälschungen von Unterschriften auf. Eine Datenrecherche des SRF zeigt nun, dass professionelle Sammelunternehmen, von denen Unterschriften gekauft werden können, eine noch größere Rolle spielen als bisher angenommen.

Unsere Kleidung, ihre Kindheit

Eine bittere wie wichtige Recherche über Kinderarbeit in den Textilfabriken der Türkei, in denen Firmen wie Zara, Only und Vero Moda ihre Mode von Subunternehmern produzieren lassen und anschließend auch in die Schweiz exportieren: Viele der hunderttausenden Kinder sind demnach aus Syrien geflüchtet. Der Text von Carmen Maiwald und Vanessa Materla ist in der von Mitgliedern finanzierten „Republik“ erschienen.

Eigenanzeige

Aus dem Netzwerk Recherche

Abschluss in Perugia: Journalism Value Project geht zu Ende

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Im Rahmen eines NR-Ecosia-Recherchestipendiums hat Jule Zentek zur CCS-Technologie recherchiert. CO₂ abscheiden, transportieren und im Meeresboden lagern ist die Idee hinter CCS, Carbon Capture and Storage. Doch die Herausforderungen sind größer als gedacht. Am Ende könnte es für die deutsche Industrie teuer und aus der vermeintlichen Klimalösung CCS so noch eine Klimafalle werden. Die Ergebnisse dieser Recherche wurden bei Correctiv und

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