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Lenin und das „Jahrhundert der Extreme“

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03.01.2024

Betrachtungen anlässlich des 100. Todestages des sowjetischen Staatsgründers.

Bei der 1985 begonnenen Gorbatschowschen Perestroika handelte es sich zunächst um eine Art Rückkehr zu den Leninschen Ideen. Bei der Erwähnung Lenins verfiel Michail Gorbatschow nicht selten in einen schwärmerischen Ton: „Die Hinwendung zu Lenin…hat eine äußerst stimulierende Rolle bei der Suche nach…Antworten auf die anfallenden Fragen gespielt“, sagte der Generalsekretär des ZK der KPdSU im November 1987. Es stellte sich aber allmählich heraus, dass eine offene Gesellschaft mit Leninschen Prinzipien kaum zu vereinbaren war; denn die Missachtung gegenüber den elementarsten demokratischen Spielregeln gehörte zum Wesen des Leninschen Systems. Einigen Bestandteilen dieses „Systems“ ist die vorliegende Kolumne gewidmet.

Das im Jahre 1917 begonnene „Jahrhundert der Extreme“ ist untrennbar mit dem Namen Lenins verbunden. Der Gründer der ersten totalitären Partei und des ersten totalitären Staates der Moderne gehörte zweifellos zu den erfolgreichsten Revolutionären der Geschichte.

Der amerikanische Sowjetologe Bertram Wolfe bezeichnete seinerzeit Lenin als einen „selbstlosen Egoisten“. Im Privatleben sei er äußerts bescheiden und anspruchslos gewesen, im Bereich der Ideologie hingegen habe er die Selbstherrlichkeit, die Selbstgefälligkeit geradezu verkörpert. Er sei felsenfest davon überzeugt gewesen, dass er allein Marx richtig verstanden habe, dass die von ihm konzipierte Kampfstrategie die einzig richtige sei, um den Sieg der proletarischen Revolution zu sichern.

Im Jahre 1902 entwarf Lenin in seiner programmatischen Schrift „Was tun?“ das Modell einer revolutionären Organisation neuen Typs – der straff disziplinierten, zentralisierten Partei der Berufsrevolutionäre: „Gebt uns eine Organisation der Revolutionäre und wir werden ganz Russland aus den Angeln heben“, verkündete Lenin damals. Und mit diesem Wunsch stimmte Lenin im Grunde mit großen Teilen der Bevölkerung des Zarenreiches überein. Auch die Mehrheit der russischen Arbeiter und Bauern wandte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts vom Zarenregime ab, und verknüpfte all ihre Hoffnungen auf die Verbesserung ihrer sozialen und wirtschaftlichen Lage mit der Revolution. Dies offenbarte sich vor allem nach dem Sturz des Zaren infolge der Februarrevolution von 1917. Als Lenin damals die russischen Soldaten zur Desertion und die Bauern zur gewaltsamen Enteignung der Gutsbesitzer aufrief, verletzte er dadurch alle Spielregeln des soeben errichteten demokratischen Systems im Lande. Aber auch die russischen Soldaten, Bauern und Arbeiter wollten von diesen Spielregeln kaum etwas wissen. Einer der schärfsten Kritiker der Bolschewiki, der Philosoph Fjodor Stepun, schrieb: Die Offenheit Lenins gegenüber allen Stürmen der Revolution sei den dunklen, destruktiven Instinkten der Massen entgegengekommen. Dieser von Stepun geschilderte Umstand hat sicher dazu beigetragen, dass die Bolschewiki im Verlaufe des Jahres 1917 einen beispiellosen Aufstieg erlebten – von einer unbedeutenden Splittergruppe zum Herrscher über Russland.

Aber unmittelbar nach der bolschewistischen Machtübernahme begannen sich die Wege Lenins und der russischen Volksschichten voneinander zu trennen. Denn als politischer Doktrinär versuchte Lenin die russische Wirklichkeit über Nacht an die bolschewistische Utopie anzupassen, und zwar mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln. Und zu diesen Mitteln gehörte in erster Linie der sogenannte „rote Terror“.

Zu den größten Problemen des im November 1917 errichteten bolschewistischen Regimes gehörte seine fehlende Legitimität. Die Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung, die einige Wochen nach dem bolschewistischen Staatsstreich stattfanden, endeten mit einem Debakel der Bolschewiki. Deshalb wurde die damals einzige Einrichtung, die den Gesamtwillen der russischen Wähler repräsentierte, von den Bolschewiki brutal auseinandergejagt. Sie verzichteten damit auf eine demokratische Legitimierung ihres Regimes und konnten von nun ihre Alleinherrschaft vor allem mit Gewalt behaupten. Der „rote Terror“ wurde jetzt zu der wohl wichtigsten Grundlage ihres Herrschaftssystems. Dem Kampf gegen die „inneren Feinde“ maßen sie eine größere Bedeutung bei als der Auseinandersetzung mit den außenpolitischen Gegnern. Bezeichnend für diesen Sachverhalt war........

© Die Kolumnisten


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