Im Gespräch | „Fast alle Mitglieder unserer Gewerkschaft sind im Krieg“
Die ostukrainische Industriestadt Krywyj Rih ist seit über hundert Jahren ein Zentrum des Bergbaus und der Metallurgie. Hier lebt und kämpft Yuriy Samoylov, Gewerkschafter, Veteran der Streiks der Perestroika-Zeit und Mitbegründer der unabhängigen Bergarbeitergewerkschaft NPGU. Sie hat derzeit etwa 2.400 Mitglieder. Insgesamt sind in der Stadt rund 150.000 Menschen in der Minenindustrie beschäftigt.
der Freitag: Herr Samoylov, Sie sind Mitbegründer einer unabhängigen Gewerkschaft der Bergarbeiter in Krywyj Rih. Warum brauchte es diese Organisation?
Yuriy Samoylov: Anfang des letzten Jahrhunderts gab es in Krywyj Rih Streiks und Arbeitskämpfe. In der Sowjetzeit wurden die Gewerkschaften aber zu „Transmissionsriemen“ der Partei – Werkzeuge statt Interessenvertretungen. In Krywyj Rih hatten sie noch eine gewisse Bedeutung, aber unabhängig waren sie nicht mehr. Als Ende der Achtzigerjahre wieder Streiks begannen, wollten wir zunächst innerhalb der bestehenden Strukturen etwas Eigenes aufbauen. Doch schnell war klar: Das geht nicht. Also gründeten wir unsere unabhängige Gewerkschaft – nur für Arbeiter, keine Funktionäre aus der alten Verwaltung durften Mitglied werden.
Gab es heiße Phasen?
In den 1990ern setzten manche Bosse Schlägertrupps ein – es gab sogar Tote. Trotzdem konnten wir unsere Streiks meist durchziehen, weil die Polizei sich heraushielt. 1994 streikten wir sogar 52 Tage, mitten im Winter. Man musste eskalieren, Schritt für Schritt: erst Forderungen, dann Arbeitsniederlegung,........
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