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Dröhnende Sommernacht in Kiew

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16.07.2025

Drei Uhr morgens ist es – und laut. „Kann es sein, dass wir in einer Matrix leben? In einer erschaffenen Realität?“ fragt ein Typ Anfang 40. Er steht in Schlaf-Jogginghose und T-Shirt in der Einfahrt seines Wohnblocks in Kiew. Dumpfes Grollen ist zu hören. Surren. Geknatter. Er steigt von einem Fuß auf den anderen – Badeschlapfen an den Füßen, in der linken Hand eine Wasserflasche, in der rechten eine Zigarette. Dabei raucht er nie. Er blickt auf seine Hand und die Zigarette zwischen den Fingern. Sagt, als sei er selbst überrascht: „Das letzte Mal habe ich geraucht, als mein Vater gestorben ist.“ Es knallt. In der Hausreihe auf der anderen Straßenseite gehen einige Lichter an.

Nach Mitternacht beginnt es meistens. Erst wird es still in dieser Stadt von sieben Millionen Einwohner:innen, die vor diesem Krieg nie still war – die Lokale schließen, dann die Ausgangssperre, der Verkehr schläft ein. Und dann: Das an Zahnbohrer erinnernde Surren der Drohnen, das laute Dröhnen der Raketen, das Geknatter der mobilen Flugabwehr, die dumpfen Donner, das Knallen, das die Fenster scheppern lässt, wenn eine Rakete abgefangen wird, die Einschläge. Die Stille danach, die nur von durch Druckwellen ausgelösten Auto-Alarmanlagen durchbrochen wird, hektischem Stimmengewirr in Hausfluren, hallenden Rufen in den Straßenfluchten.

Nächte erlebt Kiew dieser Tage, wie sie die Stadt seit Beginn des Krieges nicht gesehen hat. Um die 500 Drohnen und Raketen waren es, die Russland in der Nacht auf den 10. Juli auf die Hauptstadt der Ukraine abgefeuert hat – nach einem ebensolchen Bombardement nur wenige Tage zuvor. In der Nacht auf Mittwoch waren es mehr als 700 – allerdings nicht mit dem Ziel Kiew sondern Lutsk im Westen des Landes.

Der Drohnenkrieg Russlands, das ist ein rasant eskalierendes Szenario. Waren knapp 200 Drohnen vor einem Jahr noch ein Spitzenwert, so ist diese Summe heute kaum mehr eine Erwähnung wert. Es sind die Drohnen, mit denen der Krieg zum Alltag von Millionen Menschen geworden ist – auch weit weg von der Front. Und das hat vor allem mit den Zielen zu tun. Denn russische Drohnenangriffe auf unmittelbar militärische Ziele sind eher die Ausnahme.

Ein Knall. „Hurensöhne“, sagt der Typ, der sonst nie raucht. Er macht eine Pause und sagt:........

© Wiener Zeitung