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Heidelbeeren, Klopapier und Hungern: Mein SkinnyTok-Versuch

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15.04.2025

Hinweis: In diesem Artikel geht es um ungesunde Körperbilder und Essstörungen. Falls du auf diese Themen sensibel reagierst, lies diesen Beitrag vielleicht mit einer vertrauten Person, mit der du auch unterbrechen kannst, um dich mit ihr über das Gelesene zu unterhalten.

Ich schaue auf Instagram What I eat in a day-Reels, also Videos, in denen Content-Creator:innen zeigen, was sie an einem Tag essen, suche auf Instagram und TikTok nach Low-Calorie-Rezepten, stoße auf Reels, in denen Frauen erklären, warum es Geld spart, dünn zu sein, und warum Männer mich erst lieben werden, wenn ich unter 50 Kilo wiege. Andere filmen sich beim Eiswürfelschneiden, um Kalorien zu sparen, zeigen, dass man kein Fett zum Anbraten braucht, schließlich könne man ja einfach eine Gurke nehmen, um die Pfanne damit einzureiben. Ich schaue weiter, finde SkinnyTok-Influencerinnen, die einstudierte Phrasen, die erst mal wie Kalendersprüche von Boomern klingen, runterrattern: „Möchtest du lieben oder geliebt werden? Mir egal, solange ich dünn bin.“

Nach wenigen Stunden ist mein Algorithmus eingestellt. Ich bin in der SkinnyTok-Bubble gelandet. Dort stoße ich auf Liv.

Liv ist dünn. Und dieses Adjektiv fasst das, was ihre Online-Persönlichkeit ausmacht, zusammen. Sie tituliert sich selbst als „Skinni Coach“ und ist Gründerin des Clubs „Skinny Society“. Liv’s TikTok-Profil wurde gesperrt, weil ihre Diät-Tipps als Verstoß gegen die Community-Richtlinien eingestuft wurden, auf Instagram predigt sie weiterhin ihre Skinny-Girl-Tipps. Tausende junge Frauen vernetzen sich mit Liv, um sich Ratschläge zu holen: Wie bekomme ich ein Skinny-Mindset? Wie viele Schritte soll ich täglich gehen? Und das Wichtigste: Wie bekomme ich dieses nervige Hungergefühl weg?

Ich finde einen Link zu Livs Telegram-Gruppe und klicke drauf.

Nach zwei Minuten schreibt mir P., die meinen Kontakt anscheinend aus der Skinny-Girl-Gruppe hat. „Hi, ich habe gesehen, du möchtest abnehmen?“ P. stellt sich als Paula vor und bietet mir Hilfe beim Abnehmen an. Ein Profilfoto hat sie nicht. Dafür verlangt sie gleich ein Foto von mir, einen sogenannten Bodycheck. Bei diesem Bodycheck soll ich Paula Fotos von meinem Körper vor einem Spiegel schicken, am besten aus verschiedenen Perspektiven. Um mich wirklich unterstützen zu können, müsse sie schließlich sehen, wie meine Figur aussieht. Ich schicke P. Fotos (die ich auf Pinterest gefunden habe) von „meinem“ Bauch. Als das erledigt ist, will P. mehr sehen. Meine Beine. Ich schicke ihr diese. Angezogen. Ich sage P., dass ich in der Schule sei, schließlich ist die Person Skinny Girl xx, als die ich mich ausgebe, gerade 18 Jahre alt. Ich solle aufs Klo gehen. „Hast du Klopapier da? Dann verdeck damit deinen Intimbereich, ich muss sehen, wie sehr die Beckenknochen schon rauskommen.“ Ich antworte zwei Minuten nicht, P. wird wütend, ob ich ihr nicht vertrauen kann. Über sie verrät sie mir übrigens nichts, auch wenn ich gezielt nachfrage. Ob sich hinter P. ein älterer Mann oder tatsächlich die junge Fitness-Paula versteckt, erfahre ich nicht. Dafür erfahre ich, dass es P. überhaupt nicht gefällt, wenn ich nicht das tue, was sie mir befiehlt. P. beginnt, mich zu beschimpfen, mir zu sagen, dass ich nicht genug für mein Ziel täte. Wenn es mir so wichtig wäre, abzunehmen, könne ich wohl diese Fotos schicken und gehorchen. „Dann halt nicht.“ P. blockiert mich.

Ein neuer Chat poppt auf: Markus. Markus ist im Gegensatz zu P. sehr höflich, fragt zuvorkommend, ob es in Ordnung sei, dass er mich anschreibt, er sei Coach und hätte gesehen,........

© Wiener Zeitung