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Der Staat lässt eine pflegende Mutter im Stich

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20.11.2025

Michaela Schäffer sinkt erschöpft in den Sessel. Eine Spange hält ihre zerzausten Haare zusammen. Sie ist blass, hat nicht geschlafen. Sie musste mit ihrem Sohn wach bleiben – so, wie jede Nacht. „Ich muss bei Sven bleiben, bis er eingeschlafen ist“, sagt Schäffer und reibt sich die Augen. Heute ist Sven um 6 Uhr morgens eingeschlafen.

Sven ist 26 Jahre alt. Sein Schlafzentrum ist nicht vollständig ausgebildet, sein Biorhythmus umgedreht. Sven geht am Morgen schlafen – und steht am Nachmittag auf. Er ist geistig und körperlich schwer behindert, von Geburt an blind. Außerdem hat er Epilepsie. Schäffer muss Sven rund um die Uhr betreuen, 24 Stunden lang, sieben Tage die Woche, immer. Sie hat ihren Job und ihre Freundschaften gekündigt. Michaela Schäffer hat ihr Leben aufgegeben, um Sven ein Leben zu ermöglichen. Der Alltag bringt Schäffer an ihre finanziellen, psychischen und körperlichen Grenzen.

Vergangenes Jahr musste sie ins Spital. Sie schrammte an einer Sepsis vorbei, wurde mitten in der Nacht notoperiert. Am nächsten Morgen war sie schwach, ihre Blutwerte im Keller. Sie musste nach Hause, Sven brauchte sie. Die Ärzte warnten Schäffer. Sie ging trotzdem. Daheim bekam sie Fieber und Schüttelfrost, stand es durch. „Ich hatte keine Erholungsphase“, sagt Schäffer.

Michaela Schäffer und ihr Sohn wohnen in einer kleinen Wohnung in einer Wohnhausanlage in Linz. Auf dem Sofa sitzen Stofftiere, an der Wand hängen Fotos: Sven mit Schwimmflügerl. Sven als Teenager im Garten. Svens Geburtstagstorte, als er 18 wurde. Der Esstisch ist Michaelas Büro. Laptop, Drucker, Taschenrechner, Hefter. Von hier aus führt sie den Kampf um staatliche Unterstützung. Überall liegen Dokumente. Auf der Eckbank reihen sich Ordner aneinander. Schäffer legt ein paar Blätter auf die Seite: „Ich habe Tag und Nacht nur Beschwerden geschrieben.“ Denn das Geld reicht nicht fürs Leben, für Svens Medikamente, für seine Inkontinenzversorgung, für seine Therapien, für das behindertengerechte Auto, für das Betreuungspersonal. Vor ein paar Jahren musste sie Privatkonkurs anmelden. Auch Schäffers körperliche Reserven sind aufgebraucht. Es geht nicht mehr. Sie braucht dringend Hilfe. Doch die Behörden lassen sie allein.

Die Schäffers leben am Existenzminimum. Sie fallen durch das Raster des Sozialsystems. „Ich hätte bis heute keine Unterstützung, wenn ich nicht geklagt hätte“, sagt Schäffer. „Das Leid, das ich erlebe, kann ich vor den Behörden gar nicht richtig erklären.

Ihr Kampf mit den Behörden beginnt im März 2020. Damals beantragte Michaela Schäffer beim Land Oberösterreich persönliche Assistenz für ihren Sohn Sven. Persönliche Assistent:innen helfen Menschen mit Behinderungen, ihren Alltag zu bewältigen. Sie ermöglichen ihnen ein bisschen Selbstbestimmung. Sven braucht doppelte Betreuung. Jeder epileptische Anfall ist eine Gefahr. Immer wieder kugelt er sich Gelenke aus, verletzt sich dabei. Er muss in eine sichere Position gebracht und die Rettung verständigt werden. „Eine 2:1-Personalanforderung ist daher nicht........

© Wiener Zeitung