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Baustelle Jugendstrafvollzug

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07.07.2025

„Münnichplatz. Endstation, bitte alle aussteigen“, sagt die Lautsprecherstimme. Der Fahrer des 79A schaltet den Motor ab. Er parkt den Bus vor dem ehemaligen Jagdschloss von Maximilian I. Tourist:innen steigen hier keine aus. Aus einem offenen Schlossfenster heult eine Kreissäge. Der Rasen davor ist akkurat gemäht, ihn durchschneidet ein hoher Zaun mit Stacheldraht. Die Fenster sind vergittert. Das Habsburger-Schloss ist heute ein Gefängnis: die Justizanstalt Wien-Simmering.

Geschichte wiederholt sich, auch am Münnichplatz. 1929 errichtete die Republik hier eine Erziehungsanstalt für straffällige Jugendliche. Unter den Nazis wurde es zu einem berüchtigten Jugendgefängnis, in dem Kinder und Jugendliche gequält wurden. 1974 wurde das Erziehungsheim Kaiserebersdorf geschlossen, nun soll es wieder verurteilte Jugendliche beherbergen. Ein Trakt des Schlosses wird derzeit zur eigenständigen Justizanstalt Wien-Münnichplatz für männliche Jugendliche umfunktioniert. 16 Jugendliche – von maximal 72 – sitzen ihre Strafe bereits am Münnichplatz ab. Doch die neue Anstalt steht von Anfang an unter keinem guten Stern.

Volksanwaltschaft, Expert:innen und Medien kritisieren regelmäßig die Missstände im Jugendvollzug. Der Umzug der Jugendlichen von Gerasdorf nach Wien war von Misstönen begleitet. Die Fertigstellung der neuen Jugendanstalt verzögerte sich immer wieder – bis heute ist die Anstalt eine Baustelle. „Man hätte Gerasdorf nicht auflösen dürfen, bevor der Münnichplatz fertig ist“, kritisiert Volksanwältin Gaby Schwarz (ÖVP) die Vorgehensweise. Die Justizwache schlug wegen der Arbeitsbedingungen Alarm, Schlägereien unter Insassen wurden vom Boulevard ausgeschlachtet. Es fehlt an Justizwachebeamt:innen, pädagogischem Personal und Beschäftigungsmöglichkeiten.

Eine „Husch-Pfusch-Aktion“ sei es gewesen, urteilt Margitta Neuberger-Essenther, die ehemalige Leiterin der Justizanstalt Gerasdorf im Gespräch mit der WZ. Warum ließ sich das Justizministerium nicht mehr Zeit? Und warum hakt es im Vollzug von Jugendlichen, jenen, die in Haft am meisten Schutz bräuchten?

Zurück am Münnichplatz, wir stehen vor dem Zaun der Anstalt. Eine Dreiviertelstunde fährt man öffentlich vom Zentrum Wiens an diesen beschaulichen Platz. Die Glocke der Pfarrkirche Kaiserebersdorf läutet. Eine Gruppe Volksschüler:innen belagert eine Eisdiele. Die Frau vom Imbissstand stellt die Plastiksessel in ihrem Gastgarten auf. Ihre Kundschaft: „Die aus dem offenen Vollzug, einer bestellt jeden Tag zehn Cevapcici bei uns“, erzählt sie. Aber auch Justizbeamt:innen kommen hierher, zufällige Passant:innen eher weniger. Wer am Münnichplatz aussteigt, arbeitet entweder in der Justizanstalt oder besucht jemanden, der in Haft sitzt – es ist jedenfalls eine Sackgasse.

Weniger beschaulich ging es vor wenigen Wochen zu. Im Mai sind Videos aufgetaucht, auf denen Schlägereien zwischen den Insassen zu sehen sind, und solche, auf denen Häftlinge verbotenerweise auf den Zaun geklettert sind, um sich mit anderen Jugendlichen draußen zu unterhalten. Auf TikTok prahlten die jungen Männer mit diesen Szenen. Der Vorfall schlug medial Wellen. Die Volksanwaltschaft schaltete sich ein.

Die WZ hätte sich gerne selbst ein Bild gemacht, doch aufgrund der Bauarbeiten sei ein Besuch derzeit nicht möglich, heißt es auf Anfrage aus dem Justizministerium. Die Absage kam am selben Tag, als das Ministerium zu einem Hintergrundgespräch mit ausgewählten Journalist:innen lud. Die WZ war nicht eingeladen. Haft- und........

© Wiener Zeitung