Schulkind im Weltkrieg: Panini-Pickerl und Bespitzeln
Ich bin 1937 geboren, also zwei Jahre vor dem Beginn des Zweiten Weltkriegs. Unsere damalige Wohnung in Wien war in der Nähe des Südbahnhofs, und Bahnhöfe waren natürlich Bombenziele. Als die Bombenangriffe angefangen haben, habe ich mich ordentlich gefürchtet und ich kann mich auch vage erinnern, mit meiner Mutter und kleineren Schwester in den Luftschutzkeller gegangen zu sein.
Die Bomben waren damals nicht besonders zielsicher, die ganze Umgebung war gefährdet. Einmal gab es einen sogenannten Nicht-Volltreffer auf unser Wohnhaus, da war ich mittlerweile fünf Jahre alt, meine Schwester vier. Einige der Wohnungen waren wieder herstellbar, unsere war komplett zerstört. Da sind wir dann zu meiner Großmutter mütterlicherseits aufs Land gezogen, in die Gegend von Langenlois – das war als Übergangslösung gedacht. Mein Vater war damals schon an der Front.
An die große Übersiedlung kann ich mich eigenartig genau erinnern. Da wurde alles, was notwendig war, Bettwäsche und Kleidung, in Kartons und Koffer gepackt und damit sind wir dann vom Franz-Josefs-Bahnhof nach Niederösterreich hinausgefahren.
Dort hat uns am Bahnhof der Pächter meiner Großmutter erwartet, der in einem kleineren Haus gewohnt hat und dafür Dienstleistungen erbracht hat. Der Pächter ist mit seiner ganzen Familie und mit allen Transportgeräten, die man damals gehabt hat – Schubkarren und Leiterwagen und alles, was Räder gehabt hat – am Bahnhof gestanden und hat uns in Empfang genommen. Und dann ist diese Karawane – vorn das Gepäck mit den Pächtern, dann meine Mutter, ich und meine Schwester zu Fuß zu diesem Haus der Oma marschiert.
Das Erste, was mir als Stadtkind aufgefallen ist, war, dass es nur ein sehr komisches Klo gegeben hat. Ein Klo, in das man selbst Wasser für die Spülung einfüllen musste. Dieses Klo hat sich auch aus einem anderen Grund in mein Gedächtnis eingegraben. Später, als es in der Nacht zu einem Bombenangriff in der Nähe gekommen war, konnte meine Großmutter am nächsten Tag in der Früh ihr Geschäft nicht dort verrichten, das Klo war versperrt. Da kam es zuerst zur großen Suche: Wer sitzt da? Aber es war niemand drinnen. Die Nachbarin, deren Mann später im Krieg gefallen ist, wurde geholt und die hat dann es geschafft, mithilfe eines Besenstiels das Klofenster kaputt zu machen und die Tür zu entsperren. Denn wegen der Erschütterungen durch die Bombe ist der schmale Metallstift auf der Innenseite der Tür heruntergefallen und hat die Tür verriegelt.
Auch wenn Niederösterreich nicht so dicht besiedelt ist wie Wien, wir waren dennoch im Einzugsgebiet des Hadersdorfer Bahnhofs, der eine Verbindungsstrecke Richtung Norden war, weiter nach Böhmen. Deswegen war die Gegend auch Ziel von Bombenangriffen.
Deshalb mussten alle Bewohner per Verordnung in ihrem Garten einen Schutzgraben ausheben, der tief genug sein sollte, damit man etwaige Bombensplitter, die in der Gegend herumsausen, nicht abbekommen konnte. Das war dann eine rechteckige Grube, ungefähr 1,5 Meter tief. Allerdings war das Schlimme, dass es in der Gegend einen hohen Grundwasserspiegel gab. Deswegen ist diese Bombenschutzgrube immer unter Wasser gestanden, sodass wir kein einziges Mal in diese Grube gegangen sind. Es ist uns Gott sei Dank nichts passiert, auch wenn es zwei sehr nahe Bomben gegeben hatte. Theoretisch hätten wir bei jedem Alarm dort im Wasser stehen müssen und die zwei Stunden abwarten, bis Entwarnung kommt. Aber das war uns allen zuwider.
In Hadersdorf bin ich dann in die Volksschule gegangen. Dort gab es einmal in der Woche einen Abend, der der Indoktrination dienen sollte. Es wurde „gebastelt“ und wenn man etwas besonders Schönes gebastelt hat, gab es zur Belohnung so ein Pickerl, wie ein Panini-Sticker, von Wehrmachtssoldaten. Ich kann mich erinnern, dass wir einen schwunghaften Handel für das Sammeln betrieben haben. Drei Stabsgefreite für einen Unteroffizier und so weiter. Das Höchstmögliche war der Reichsmarschall Göring, der später in Nürnberg zum Tod verurteilt worden ist. Den Sticker mit dem........
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