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80 Jahre nach Hiroshima: Der Lauf des nuklearen Wettrüstens

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05.02.2025

Am 6. August 1945 um 8:15 Uhr traf ein greller „Blitz ohne Donner“ die japanische Großstadt Hiroshima. „Da zerriss ein grauenvoller Lichtblitz den Himmel. Tanimoto erinnerte sich genau, […]. Es schien ein flammendes Stück Sonne zu sein,“ heißt es im Buch „Hiroshima“ von John Hersey, in dem er das Überleben von sechs Hibakusha – so nennt man in Japan Menschen, die einen Atombombenangriff überlebten – aufzeichnet. Drei Tage später traf die Stadt Nagasaki das gleiche Schicksal.

Über 200.000 Menschen starben – viele sofort, andere durch die Folgen der Strahlung. Die Namen der beiden Städte stehen seitdem als Synonyme für das unermessliche, von Atomwaffen ausgelöste Leid.

Bis heute setzen sich die verbleibenden Zeitzeugen der Hibakusha deshalb vehement für ein Verbot von Atomwaffen ein. Erst im Dezember 2024 wurde die japanische Organisation Nihon Hidankyo für ihren Einsatz mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Denn ihre Warnungen bleiben bis jetzt von größter Relevanz.

Seit 1947 präsentiert ein Rat von Expert:innen des Bulletin of the Atomic Scientists, eine US-amerikanische NGO, jährlich den aktuellen Stand der „Doomsday Clock“. Diese symbolische Uhr zeigt an, wie nah die Welt einer globalen Katastrophe ist, insbesondere durch nukleare Bedrohungen und den Klimawandel. Dieses Jahr wurde die Uhr auf 89 Sekunden vor Mitternacht gestellt – der kritischste Wert seit ihrer Einführung. In der Begründung verlautbaren die Wissenschaftler:innen, dass sich die Welt auf einem Kurs mit noch nie dagewesenen Risiken befände und dass „die Fortsetzung des derzeitigen Weges eine Form von Wahnsinn ist“. Die Vereinigten Staaten, China und Russland würden die Hauptverantwortung dafür tragen, „die Welt vom Abgrund zurückzuholen“.

Warum sich die NGO damit auseinandersetzt? Die Organisation wurde 1945 von Albert Einstein und Wissenschaftlern des Manhattan-Projekts (siehe Infos & Quellen) gegründet – jenen, die die erste Atombombe entwickelten. Doch schon kurz nach der Zündung der ersten Bombe wuchs bei vielen die Erkenntnis, dass ihre Schöpfung unermessliches Leid und globale Zerstörung bringen könnte. Einer der prominentesten unter ihnen, J. Robert Oppenheimer, der als „Vater der Atombombe“ gilt, äußerte später tiefe Furcht vor den Konsequenzen, die diese Technologie entfesselt hatte.

Laut dem Stockholmer Friedensforschungsinstitut (SIPRI) besitzen aktuell weltweit neun Staaten zusammen 12.121 Atomwaffen. Russland und die USA halten fast 90 Prozent davon. Aber auch China, Frankreich, Großbritannien, Pakistan, Indien, Israel und Nordkorea besitzen nukleare Sprengköpfe.

Um diese Zahlen in ein Verhältnis zu setzen: Ein einziger nuklearer Sprengkopf hätte das Potenzial, Hunderttausende von Menschen zu töten und würde dauerhafte humanitäre und ökologische Katastrophen verursachen – eine Detonation über New York würde beispielsweise fast 600.000 Todesopfer fordern. Bereits hundert Atomwaffen in der Stärke jener von Hiroshima können laut Studien einen nuklearen Winter auslösen, der über Jahre hinweg anhält – das heißt, es würden so viele Ruß- und Aschepartikel in der Atmosphäre das Sonnenlicht blockieren, dass drastische Temperaturabfälle verursacht werden und landwirtschaftliche und ökologische Systeme weltweit zusammenbrechen. Seit Hiroshima sind die Waffen allerdings um ein Vielfaches modernisiert und verstärkt worden.

Etwa acht Jahrzehnte nach Hiroshima droht ein neues Kapitel der Atomwaffengeschichte: das dritte nukleare Zeitalter. Das erste Zeitalter (1945-1991) war geprägt von der Konfrontation zwischen den USA und der Sowjetunion – mit mehreren Momenten, in denen die Welt nur knapp einem Atomkrieg entging (siehe Infos & Quellen). Diese Erfahrungen führten mit dem Ende des Kalten Kriegs zum zweiten nuklearen Zeitalter: einer Phase der Abrüstung und verstärkter Bemühungen, die Weiterverbreitung von Atomwaffen zu verhindern.

Doch die Anstrengungen des zweiten nuklearen Zeitalters sind fast vollständig zurückgebaut. Expert:innen sprechen deshalb heute immer öfter vom Anbruch des dritten nuklearen Zeitalters. Dieses steht für eine Nuklearlandschaft mit mehreren und neuen Akteur:innen, technologischen Innovationen wie Künstlicher Intelligenz in Waffensystemen und der schrittweisen Auflösung von Rüstungskontrollabkommen. In Summe: eine Multiplikation nuklearer Risiken. Zuletzt war es der Chef der britischen Streitkräfte, Admiral Sir Tony Radakin, der im Dezember 2024 in einer Rede auf einer Konferenz des Königlichen Instituts der Vereinigten Streitkräfte für Verteidigungs- und Sicherheitsstudien davor warnte, dass die Welt am Beginn eines „dritten nuklearen Zeitalters“ stehe.

Das deutlichste Anzeichen dafür sind nukleare Drohungen. Alexander Kmentt, Leiter der Abteilung für Abrüstung, Rüstungskontrolle und Non-Proliferation im Außenministerium, erklärt im Gespräch mit der WZ: „Russlands wiederholte Andeutungen, dass es im Ukraine-Konflikt Atomwaffen einsetzen könnte, haben die globale Aufmerksamkeit auf die weiterhin bestehende Bedrohung durch nukleare Waffen gelenkt.“ Der Diplomat weist darauf hin, dass „die nukleare Bedrohung natürlich nie weg war, die nun offenkundigen Androhungen, vor allem durch Russland, erhöhen diese Risiken aber signifikant.“

Die Drohgebärden wirken: Auch bisher nuklearwaffenfreie Staaten denken nun ernsthaft über eigene........

© Wiener Zeitung