Nach der Flut: „Wenn wir weiter warten, schwimm’ ich wieder“
Zwischen Berghängen eingekeilt liegt Deutschfeistritz wie in einem natürlichen Trichter. Häuser drängen sich dicht bis zum Ufer des Übelbachs. Bei Sonnenschein bahnt sich das Wasser gemächlich seinen Weg durch den Ort. Doch bei Starkregen mutiert das Gerinnsel schnell zu einer potenziellen Todesfalle. So wie am 8. Juni 2024, also genau vor einem Jahr. Es ist halb sieben am Abend, der Himmel öffnet seine Schleusen und trifft die Deutschfeistritzer mit einem mehr als hundertjährigen Hochwasser. Als Gertraud Hiden in ihrem Haus die Stiegen zum Keller hinabschaut, ist die erste Stufe bereits unter Wasser. Das Telefon klingelt, am anderen Ende meldet sich Hidens panische Tochter aus ihrem Auto: „Mama, die lassen uns nicht mehr in den Ort hinein. Ruf sofort die Feuerwehr!“ Die 70-jährige Hiden befindet sich zu diesem Zeitpunkt mit der 86-jährigen Schwiegermutter im Erdgeschoss. Sich gemeinsam mit der gebrechlichen Dame in den ersten Stock retten – unmöglich. Genauso wie die Flucht nach draußen: „Man hat nur noch die Dächer von schwimmenden Autos gesehen.“
Getraud Hiden setzt einen Notruf ab. Damit ist sie bei Weitem nicht die Einzige. Hans-Jürgen Lindenau sitzt mit seinen Kameraden im Feuerwehrauto. „In zwei Minuten geht der Bach über“, tönt es aus dem Funkgerät. Pause. Dann: „Da reißt’s gleich ein Haus weg.“ Und: „Es sind noch Menschen drinnen.“ Als Lindenau die Stimme seines Kommandanten hört, erkennt er an seiner Tonlage: „Jetzt geht’s um Leben und Tod.“ Wenn der Regen kommt, pumpen er und die anderen Feuerwehrleute normalerweise Keller aus. An diesem Abend verteilt er allerdings weder Sandsäcke noch betreibt er Gebäudeschutz. Die nächsten sieben Stunden werden er und seine Mannschaft sich gegen das Wasser stemmen und Menschen retten. „In dem Moment vergisst du alles, was du in 30 Jahren gelernt hast – du handelst nur noch instinktiv.“ Erst in den frühen Morgenstunden schafft er es zurück ins Rüsthaus. Er will verschnaufen, zieht sich in die Schlauchkammer zurück. Andere hatten die gleiche Idee. „Keiner hat mehr etwas gesagt, bei uns allen sind nur noch die Tränen geronnen.“ Lindenau realisiert: „Nicht nur ich hätt’ fast mein Leben verloren. Ich hab’ meine ganze Mannschaft in Gefahr gebracht. Aber was hätt’ ich denn den Leuten sagen sollen? ’Tschuldigung, du musst jetzt leider ertrinken?“
Selbst als Gertraud Hiden, die Schwiegermutter und alle anderen in Deutschfeistritz gerettet waren und das Wasser sich langsam zurückzog, blieb keine Zeit für Stillstand. Häuser mussten gesichert, Wege freigeräumt werden. Und immer wieder der Blick ins Umland: Hänge, die sich jederzeit lösen könnten, weil sich die Böden mit Wasser........
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