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Das stille Comeback des Handwerks

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22.07.2025

Jeden Tag acht Stunden lang draußen im Grünen zu sein, in der Erde zu graben und sich mit Pflanzen zu beschäftigen ist für Patricia Willers ein Traumjob – doch das war nicht immer so. Aus einer Akademikerfamilie stammend, hat sie – ihrem Vater zuliebe – eigentlich Englisch und Japanisch studiert und später dann als Tagesmutter gearbeitet. Die 59-Jährige sah während der Corona-Pandemie überall Plakate zum Fachkräftemangel und beschloss kurzerhand, so eine Fachkraft zu werden – als Gärtnerin. „Es war wie eine Verliebtheit“, beschreibt Patricia Willers das Gefühl, als sie vor fünf Jahren in der Berufsschule alles zum Gärtnerberuf lernen durfte.

Als spät berufene Gärtnerin ist Patricia Willers die Ausnahme, nicht die Regel. Gerade in handwerklichen Berufen, wo Betriebe in der Familie – meistens vom Vater zum Sohn – weitergegeben werden, ist der Karriereweg oft klassisch. Rene Affengruber führt in Oed, Niederösterreich, seit knapp einem Jahr die KFZ-Werkstatt, die sein Vater aufgebaut hat. Dabei war er einem „Schreibtisch-Job“ nicht abgeneigt: Nach der HTL hat es der heute 32-Jährige als Technischer Konstrukteur probiert und den ganzen Tag 3D-Modelle von Bauteilen am PC angefertigt. „Das war gar nicht meins, die Zeit ist einfach nicht vergangen“, erzählt er. „Ich muss dreckig werden, ich will schrauben und auf den Füßen sein“, wurde ihm schnell klar.

Die Vorlieben im Arbeitsleben sind individuell, gleichzeitig können sich nicht alle ihren Job frei aussuchen. Ein Studium oder eine langjährige unbezahlte Ausbildung kommen für viele aus finanziellen Gründen nicht in Frage oder werden vom Umfeld nicht unterstützt, geschweige denn gefördert. Es gibt weit praktischere Gründe für die Berufswahl als die persönlichen Vorlieben und Interessen: Jugendliche müssen früh zum Familieneinkommen beitragen, in einem Betrieb im Bekanntenkreis wird ein:e Dachdecker:in oder Elektrotechniker:in gebraucht oder ein Elternteil übt diesen oder jenen Beruf aus. Die soziale Herkunft beeinflusst nicht nur die Berufswahl, sie bestimmt die Anzahl der Optionen, die realistisch sind.

Einfacher wird’s in jedem Fall, wenn man Motivation im täglichen Tun findet. Für Michael Reider, Heizungsinstallateur mit eigenem Betrieb in Wien-Neubau, zeigt sich das jeden Tag anders: Egal, ob sein Team dafür sorgt, dass die Wohnung im Winter beheizt ist, die Dusche saniert wird oder die Lüftungstechnik läuft – der Nutzen ist klar. „Dabei kann man den Beruf des Gebäudetechnikers nicht mit dem Bild von vor 20 oder 30 Jahren vergleichen: Wir........

© Wiener Zeitung