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Ausbeutung statt Erleuchtung

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wednesday

Der Eingangsbereich steht voll mit Schuhpaaren, der Seminarraum ist voll mit Menschen: Junge, alte, elegant wie alternativ Gekleidete sitzen in Sesselreihen. Gut 150 erwartungsvolle Menschen befinden sich im Raum. Ein paar Anwesende sind ganz in Weiß gekleidet.

„Ich war in Südamerika“, sagt der ebenfalls ganz in Weiß gekleidete Mann, „aber nur meine Seele, die meinen Körper verlassen hat.“ Ich besuche den ersten Abend eines „3-Tage-Intensivseminars“. Der Redner erzählt von unglaublichen Erfahrungen, die er durch Meditation gemacht hat. Out-of-Body-Experiences und Reisen durch die Welt, nur mit seinem Bewusstsein.

Willkommen im „Lotus Seminarzentrum“. Der spirituelle Ort und seine lokalen Ableger werben auf tausenden Plakaten in ganz Österreich mit gratis Meditationskursen. „Eine kleine Oase des Friedens inmitten der Großstadt. Ein Ort lebendiger Spiritualität“, heißt es auf der Website. Das Zentrum veranstaltet auch regelmäßig Seminare rund um Yoga und Meditationsmusik und organisiert spirituelle Festivals oder Marathonläufe. Alles laut Website „völlig unverbindlich.“

Es gibt kaum eine Fußgängerampel, auf der nicht eines dieser Meditations-Poster klebt. Doch kaum jemand weiß, was sich dahinter verbirgt. Wer ist der Mann auf dem Foto, der in die Kamera lächelt? Wer macht so viel Werbung für etwas, das gratis ist? Die WZ ist dem nachgegangen.

Im dunklen Hinterhof der Morizgasse 9 im sechsten Wiener Gemeindebezirk leuchtet Licht durch die Glasfront des Hinterhauses. Und wieder dieser glatzköpfige, indische Mann von den Plakaten. Sein Foto hängt an der Wand. Er schaut jeden wohlwollend an, der durch die Glastür tritt.

Während der Mann in Weiß seinen Vortrag hält, steht ein Foto des Inders prominent auf der Bühne. Im hinteren Bereich des Seminarraumes gibt es Bücher, CDs und Hefte zu kaufen. Viele davon ziert das gleiche Gesicht. Die Berichte des Redners über unglaubliche Meditationserfahrungen dauern drei Stunden. Friede, Freude, Glück und Gesundheit werden stark auf der Website, aber an diesem Abend kaum thematisiert. Der Redner schwärmt davon, wie er sein Potenzial entfalten konnte, wie Kreativität und ungekannte Fähigkeiten aus ihm und Gleichgesinnten nur so heraussprudeln würden. Aber mit keinem Wort wird jener glatzköpfige Mann erwähnt, der überall präsent ist.

Der Mann auf den Fotos ist Sri Chinmoy. 1931 in Britisch-Indien (heute Bangladesch) geboren, trat er als Teenager in den Ashram des spirituellen Lehrers Sri Aurobindo ein. 1964 wanderte Chinmoy in die USA aus, wenige Jahre später eröffnete er zahlreiche spirituelle Zentren, in denen sich seine Anhänger:innen zum Meditieren treffen. Chinmoy war überzeugt, dass er nicht nur während des Meditierens, sondern im Alltag stets von Erleuchtung erfüllt sei.
Die Lehre des Gurus besteht darin, dass jede:r sein inneres Potenzial hervorbringen und dadurch zur Verbesserung der Welt beitragen kann, durch Meditation im Alltag - vor dem Foto Chinmoys. Meditation schaffe unendliche Freude, inneren Frieden und ewige Wahrheit. Dadurch sei es möglich, alltägliche Probleme leicht zu bewältigen und sich selbst zu heilen.

In den 1970er Jahren gewann die Bewegung in den USA an Fahrt und schwappte nach Europa. Chinmoy wurde vor allem unter Musiker:innen beliebt: Carlos Santana oder Roberta Flack schlossen sich seiner Lehre an. Heute gibt es hunderte Center weltweit. In über 20 Städten in Deutschland, Österreich und der Schweiz gibt es ein Sri-Chinmoy-Zentrum.

Sri Chinmoy starb 2007. Aber bis heute folgen Gläubige in Zentren in Wien, Linz, Graz, Salzburg, Innsbruck und Villach seiner Lehre und verehren ihn Gottgleich.

Die Lehre des Gurus dringt in alle........

© Wiener Zeitung