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„Bonbon, Halt und Juden verboten“

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09.04.2025

Bonbon, Halt, und Juden verboten – das sind die einzigen vier deutschen Begriffe, die mein heute 90-jähriger polnischer Großvater Józef kennt. Er ist im Juli 1934 in einer kleinen Ortschaft in den Bergen im Süden Polens zur Welt gekommen. Er hat während der Besatzung mit seiner Mutter Leontyna und seinem Bruder Antoni gelebt, sein Vater Stanisław hat in der polnischen Armee in den Niederlanden als Fallschirmjäger gekämpft.

Die Gegend ist bis heute ein beliebter Kurort. Auch die Nazis wussten die Annehmlichkeiten während des Zweiten Weltkriegs zu schätzen: Soldaten auf Fronturlaub quartierten sich während der Besatzung in den vielen Hotels, Villen und Herbergen des Ortes ein. „Das waren ganz junge Burschen, von der Sorte Kanonenfutter. An zwei kann ich mich besonders gut erinnern: an den Hans und den Josef. Die haben direkt nebenan von uns gewohnt und mir immer Süßigkeiten geschenkt: Josef, da, Bonbon!, haben sie gerufen. Die haben mich gern gehabt, ich hab ja so geheißen wie einer von ihnen. Die Frontsoldaten waren zumindest zu uns Kindern immer sehr freundlich“, erinnert sich mein Großvater, als wir durch das Dorf spazieren. Er betont, dass er die Taten der Frontsoldaten keinesfalls relativieren will, er bittet mich aber, seine Erinnerungen aus seiner damaligen kindlichen Perspektive erzählen zu dürfen – ich stimme zu und lausche weiter. Das Haus, in dem Hans und Josef gewohnt haben, steht noch – baufällige Balkone und „Nicht betreten“-Schilder zieren die Fassade. „Aber schau, hier, wo jetzt die Post ist“ – er zeigt auf das kleine gelbe Post-Gebäude mit spitzem Dach und schüttelt den Kopf – „da sind die richtigen Hunde gesessen. Die Gestapo.“

Im September 1939, mein Großvater war damals fünf Jahre alt, begannen die deutschen Besatzer, in der Gegend ihren Machtapparat einzurichten: eine Gestapo-Zentrale und einen Posten der polnischen Polizei im Generalgouvernement, der „Blauen Polizei“.

Durch die Pieninen – die Gebirgskette rund um die Ortschaften – führte eine der wichtigsten Transport- und Kurierrouten. Nach dem Überfall Deutschlands auf Polen 1938 flüchteten viele Poli:nnen in den Süden des Landes – unter anderem auch Soldaten, die die in Frankreich gerade entstehende polnische Armee erreichen wollten. Auch Menschen, die das Land heimlich verlassen wollten, waren dabei – das Dorf liegt direkt an der slowakischen Grenze und hat sich somit gut dafür angeboten, diese Menschen über die Berge in die Slowakei zu schleusen. Auch das bekam mein Großvater als Kind direkt mit.

Seine Mutter, meine Urgroßmutter Leontyna, war Dienstmädchen bei einer wohlhabenden Krakauer Fotografenfamilie, die in der Ortschaft ihr Landhaus hatte – auf das Haus hat Leontyna während der Abwesenheit ihrer Arbeitgeber aufgepasst, und durfte somit mit ihren beiden kleinen Söhnen dort wohnen. Sie war eine einfache Bedienstete, gleichzeitig war sie auch Teil der Untergrundwiderstandsbewegung „Bataliony Chłopskie“........

© Wiener Zeitung