„Politik Backstage“: Wien-Wahl als Auftakt zur Kickl-Dämmerung?
„Es war eine der langweiligsten Vorwahlwochen, die ich je erlebt habe“, sagt ein langjähriger professioneller Beobachter und Meinungsforscher. „Von einem Wahlkampf kann ja beim besten Willen keine Rede sein.“
Dabei stand bei der Kür des Wahldatums für Wien das Gegenteil Pate. Michael Ludwig wollte mit der Vorverlegung der turnusmäßig erst im Herbst fälligen Wiener Landtagswahl auf den Sonntag nach Ostern ein mehrfach erfolgreich erprobtes Feindbild als Wahlturbo nutzen. Als Wiens SPÖ-Chef Mitte Jänner die Weichen dafür stellte, hatten Herbert Kickl und Christian Stocker die Verhandlungen über Blau-Türkis gerade erst eröffnet.
Ludwig war sich damals im kleinen Kreis sicher: Die ÖVP werde dem FPÖ-Chef den rot-weiß-roten Teppich ins Kanzleramt legen. Einen besseren Plot als „roter Rathausmann“ gegen „blauen Kanzler“ könne kein Wahlkampfdramaturg je wieder bieten.
Als drei Wochen nach dem Neuwahlbeschluss im Wiener Landtag Blau-Türkis platzte, gab es für Ludwig kein Zurück mehr.
Der Politfuchs suchte, aus der Not eine Tugend zu machen. Der satisfaktionsfähige Gegenspieler war über Nacht abhandengekommen, ab sofort war jede Art von politischer Auseinandersetzung abgesagt. Das simple Kalkül: Meinungsforscher prognostizieren der Wiener SPÖ mit rund 40 Prozent bis auf einen Prozentpunkt das Halten des letzten Wahlergebnisses. Das ist in Zeiten von schmerzhaften Wählerwatschen für die Regierenden eine Ausnahme. Der lokale Herausforderer in Blau, Dominik Nepp, wird gerade einmal mit der Hälfte der SPÖ-Stimmen taxiert, alle anderen Parteien können sich bereits glücklich schätzen, wenn sie ein knapp zweistelliges Ergebnis einfahren. Jedes Politduell würde das Gegenüber nur ohne Not aufwerten, so das rote Kalkül. Statt Dauerfeuer auf Kickl war daher streichelweiche Sympathiepflege für Ludwig angesagt.
Diesen Sonntag wird so auch die FPÖ nur halbherzig in rituelle Jubelrufe ausbrechen können. Nach dem Absturz im Gefolge des Ibiza-Videos auf sieben Prozent vor fünf Jahren messen Umfragen den Wiener Blauen diesmal um die 20 Prozent zu. Von ihren Traumwerten in der Ära Strache von 30 Prozent bleibt die Wiener FPÖ aber weiter meilenweit entfernt. „Wir hoffen, dass es 20 Prozent werden. Bei 19 Prozent werden wir aber auch niemanden hinrichten“, resümiert ein hochrangiges Mitglied der Bundesparteiführung flapsig.
Dazu kommt: Der FPÖ ist es bisher nicht gelungen, ihren Anhängern eine eingängige Erklärung für den Verbleib Kickls auf der Oppositionsbank zu liefern. „Die FPÖ profitiert zwar in Umfragen weiterhin von der mangelnden Strahlkraft der Konkurrenz. Mit einer plausiblen Erzählung könnte sie bei einem Rachefeldzug aber ihr Potenzial voll ausschöpfen“, sagt ein Meinungsforscher.
Rumoren in den Gremien oder gar öffentliche Debatten über das Platzenlassen der Option Blau-Türkis schließen Parteikenner zwar aus. Aus der Welt ist das FPÖ-interne Unverständnis über den........
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