Baseballschlägerjahre in Blau – oder: Die Rückkehr der Angst
In der kleinen Stadt, in deren Nähe ich aufwuchs, irgendwo am Rande des Thüringer Waldes, existiert immer noch jene solitäre Kneipe, in der in unregelmäßigen Abständen Bands auftreten. Weil ich zu Ostern mal wieder in der alten Heimat war und die Nichte ihren Vater (als Chauffeur) und mich (als Mitläufer) mit zum Konzert nahm, stand ich zwischen lauter jungen Menschen und hörte zu, wie auf der Bühne ebenso junge Menschen versuchten, möglichst aufmüpfig zu klingen.
Und wie das bei jungen Menschen schon seit einer Weile schick ist, wirkte alles ausgesprochen retro. Mir erging es an dem Abend wie beim fast schon gewohnten Anblick der unwiederholbar geglaubten Mode- und Frisursünden: Es amüsierte und berührte mich gleichermaßen, wie vier als Punkrocker verkleidete Jungs Nina Hagens vergesslichen Michael verschrammelten, Johnny Cash im Folsom Prison zurichteten und schließlich sogar noch gratismutig gegen die "dummen Faschos" ansangen.
Es war wie einst, als ich noch jung war. Oder eben wie jetzt.
Denn der Anlass für das Absingen antifaschistischen Liedgutes war aktuell. Ein 21-jähriger Mann, der auch noch eher als Junge durchgehen dürfte, hatte auf dem Universitätscampus, der an die Stadt angrenzt, gezielt auf Studenten geschossen, mit Kunststoffmunition. Von den acht Verletzten stammte die Mehrheit aus dem Ausland.
Die Tat erinnerte mich an die Zeit vor drei Jahrzehnten, als Ähnliches ständig geschah. Neonazis hetzten, verprügelten und ermordeten Ausländer. Sie attackierten linke Szenetreffs, zündeten Flüchtlingsheime an und bedrohten im Zweifel jeden, der irgendwie anders aussah oder potenziell anders dachte.
