Die EM des Meckerns: Ein Nationalhobby
Es gibt Dinge, die gehören einfach zum deutschen Kulturgut: Brotbacken, Bierbrauen und natürlich das unvergleichliche Talent, sich über die eigene Nationalmannschaft zu beschweren. Diese Kunstform, die so tief in unserer DNA verankert ist wie der Hang zum Rasenmähen. Ein Phänomen, das eine eigene Kolumne von Heinrich Schmitz verdient hat.
Bild von Alain Audet auf Pixabay
Um das deutsche Meckern in seiner ganzen Pracht zu verstehen, muss man einen Blick in die Vergangenheit werfen. Schon im alten Preußen wurde nicht nur auf dem Schlachtfeld, sondern auch in den Tavernen über die Strategien und Taktiken des Königs gestritten. Diese Tradition hat sich nahtlos in den Fußball übertragen, dem modernen Schlachtfeld der Nation – wenn man mal von den realen Schlachtfeldern absieht. Es ist, als ob die Deutschen über Generationen hinweg einen feinen Sinn für strategische Unvollkommenheiten entwickelt hätten, den sie nun mit Leidenschaft ausleben.
Die deutsche Fußballgeschichte bietet hierfür reichlich Stoff. Vom „Wunder von Bern“ 1954 über die „Schmach von Cordoba“ 1978 bis hin zum „Sommermärchen“ 2006 – jede Ära hatte ihre Höhen und Tiefen, ihre Helden und Sündenböcke. Und immer waren da die Fans, die alles besser wussten, die selbst aus der Bequemlichkeit ihrer Sofas oder der Theke heraus die großen Trainer in den Schatten stellten.
Betrachten wir einmal die Szene: Es ist ein lauer Sommerabend, das Public Viewing ist in vollem Gange, und der Himmel ist in Schwarz-Rot-Gold getaucht. Die Mannschaft tritt zum ersten Gruppenspiel der Europameisterschaft an, und es dauert genau fünf Minuten, bis das erste Raunen durch die Reihen geht. Der Ball wird verloren, und schon hört man die ersten Stimmen: „Also, dieser Pass war ja wohl gar nichts!“
Ein wahres Public Viewing, also eine öffentliche Leichenschau , zeichnet sich nicht nur durch das Gemeinschaftsgefühl, sondern vor allem durch die kollektive Expertise aus, die in den Dialogen zum Ausdruck kommt. Hier ein Beispiel: „Warum spielt der Neuer heute ? Hat der Nagelsmann denn nichts gelernt? Mit Ter Stegen wäre das besser.“ Jeder ist plötzlich Bundestrainer, jeder hat die Lösung parat. Man könnte meinen, der DFB würde gut daran tun, seine Scouting-Abteilung direkt ins nächste Biergarten-Event zu verlegen oder das Training und die Mannschaftsaufstellung per KI-gesteuerter Demoskopie durchführen zu lassen.
Es gibt neben den Meckerern auch die prophetischen Meckerer, die bereits jetzt wissen, dass „der Neuer im entscheidnenden Spiel dne Ball durchlässt und damit die EM vergeigt“. Wenn er das dann nicht macht, dann war nicht etwa die Vorhersage falsch, sondern irgendein außerhalb des Propheten liegender Zufall hat das Ding gerichtet.
Der geneigte Deutsche braucht........
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