menu_open Columnists
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close

Ein Lokalaugenschein in Assads Foltergefängnis Sednaya

11 0
12.03.2025

Lamia und ihr Mann Jamal – beide in Schwarz gekleidet – sitzen stumm in ihrem Wohnzimmer in einem südlichen Vorort von Damaskus. Draußen prasselt der Regen gegen die Fensterscheibe, drinnen ist es kalt. „Ich vermisse Bassel“, sagt Lamia und wischt mit einem Taschentuch über ihre Augen.

Im Sommer 2022 diente ihr Sohn Bassel als Rekrut in der syrischen Armee. Die Zustände waren erdrückend; längst hatte die Inflation die Soldatengehälter aufgefressen, die Offiziere waren korrupt und jeder wusste, dass sie nur mehr für den Machterhalt des Assad-Regimes kämpften.

Der damals 22-jährige Bassel desertierte. Kurz darauf verschwand er. Zwar vermuteten seine Eltern, dass Bassel vom Geheimdienst verhaftet worden war, doch vom Staat erhielten sie keine Auskunft. Ein teuer bezahlter Anwalt fand schließlich heraus, wo Bassel inhaftiert war. Die Nachricht traf sie wie ein Schlag: Sednaya.

Hafez al-Assad, Bashar al-Assads Vater, ließ Sednaya in den frühen 80ern als Militärgefängnis erbauen. Mit Ausbruch der syrischen Revolution 2011 wurden in dem weitläufigen Komplex immer mehr politische Gefangene inhaftiert. Tatsächlich kann man aber kaum von Verhaftungen sprechen. Die Art und Weise, wie Menschen vom Militärgeheimdienst in das Gefängnis geschafft wurden, erinnert eher an Entführungen. Wie Bassel verschwanden viele Menschen spurlos, über den Grund ihrer Verhaftung wurden sie im Unklaren gelassen, ein richterlicher Beschluss lag in den seltensten Fällen vor.

Falls es überhaupt eine Verurteilung gab, erfolgte diese meist vor Militärgerichten, die nicht an geltende Gesetze gebunden waren. Solche Prozesse dauerten in der Regel nicht länger als ein paar Minuten. Die Urteile basierten auf Geständnissen, die durch Folter erpresst worden waren. In den meisten Fällen lautete die Anklage auf Terrorismus – was jede Form des Widerstands gegen das Regime einschloss. War das Urteil einmal verkündet, gab es keine Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen.

Das Geld, das Lamia und Jamal dem Anwalt bezahlen mussten, stellte für sie eine große finanzielle Belastung dar. Ihren Gästen Tee anzubieten, können sie sich nicht leisten. Das Ehepaar wohnt in Kafr Batna, einem ärmlichen, hauptsächlich von Sunniten bewohnten Vorort von Damaskus. Die Menschen verdienen im Durchschnitt zwanzig US-Dollar im Monat – weit kommt man damit auch in Syrien nicht.

Dass der Kampf gegen das Regime in den sunnitisch geprägten Vororten besonders heftig geführt wurde, hat ihnen Bashar al-Assad nie verziehen. Obwohl die Kämpfe 2018 endeten, gibt es hier keinen Wiederaufbau. Die Straße nach Kafr Batna führt durch ein Ödland aus ausgebombten Betonruinen.

Nachdem sie wussten, dass Bassel in Sednaya inhaftiert war, besuchte Lamia ihren Sohn einmal im Monat. Doch der Ablauf dieser Besuche war eine Farce mit dem Ziel, Inhaftierte und Besucher:innen zu zermürben. Zunächst musste sie um eine Besuchsgenehmigung ansuchen, die ihr ohne Angabe von Gründen jederzeit wieder entzogen werden konnte. Einmal in Sednaya, ließen die Aufseher sie nie........

© Wiener Zeitung