Was macht eigentlich der/die Bundespräsident:in?
Endlich eine Regierung: Der amtierende Bundespräsident darf für sich in Anspruch nehmen, in seiner Funktion die bisher längsten Koalitionsverhandlungen der Republik begleitet zu haben. Sein Anteil daran, dass doch noch eine Zusammenarbeit zustande kommt und keine Neuwahlen anstehen, ist nicht gering – obwohl er formal bei der Regierungsbildung gar keine gesetzliche Funktion hat. Dass eine Regierung nach einer Nationalratswahl ihren Rücktritt anbietet und das Staatsoberhaupt diese mit der Weiterführung der Amtsgeschäfte betraut, ist Usance, ebenso wie das weitere Prozedere. Erst die Angelobung einer Regierung gehört bei diesem Vorgang zu den verfassungsmäßig festgelegten Aufgaben eines Staatsoberhaupts. Das Amt ist ein typisch polit-österreichisches Paradoxon zwischen Macht, die das Gesetz festschreibt, die aber gar nicht ausgeübt wird bzw. werden kann, und solcher, die sich aus den realpolitischen Umständen ergibt.
Rein nach den Buchstaben der Verfassung ist der/die Bundespräsident:in „durchaus mächtig“, wie Politologe Peter Filzmaier zur WZ sagt. Seine politikwissenschaftlichen Vorlesungen beginne er daher immer mit folgender Einleitung: „Würde ein Politikwissenschaftler vom Mars auf die Erde gebeamt werden und nur die Bundesverfassung lesen, würde er Österreich als semi-präsidentielle Demokratie ähnlich Frankreich einordnen, weil die Kompetenzen so weitreichend klingen.“
Tatsächlich ist das Staatsoberhaupt laut Verfassung nicht nur Oberbefehlshaber:in des Bundesheeres, auch kein Gesetz tritt ohne seine Unterschrift in Kraft. Ebenso kann er oder sie den Nationalrat auflösen, Notverordnungen erlassen und ist eben für die Angelobung – und Entlassung – einer Regierung bzw. Minister:innen verantwortlich. Realpolitisch hat sich in der Zweiten Republik aber ein Konsens entwickelt, der diese Machtfülle auf dem Papier nicht mit Leben erfüllt: Rollenverzicht nennt das die historische Betrachtung, vom „Primat des Parlaments“ spricht Politikwissenschaftler Laurenz Ennser-Jedenastik vom Verhältnis der obersten Staatsorgane. Filzmaier erklärt: „Der oder die Bundespräsident:in ist realpolitisch auf das Zusammenspiel mit den anderen Vertretern des Staats angewiesen, weil er oder sie bei Ausübung seiner oder ihrer vollen Macht Blockaden oder gar Verfassungskrisen riskieren würde.“
Innenpolitik-Journalist Georg Renner über Österreichs Politiklandschaft.
Beispiel Auflösung des Nationalrats: Das kann der/die Bundespräsident:in nur auf Vorschlag der Regierung. Diese könnte er zwar eigenmächtig jederzeit entlassen und eine neue einsetzen, die seinem Wunsch nach Antrag auf Auflösung des Nationalrats nachkommt – allerdings........
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