Bosnien: „Denkst du, es kommt ein neuer Krieg?“
Der Frühling kommt nur langsam. Nebelwolken sitzen auf den Hügeln über Sarajevo. Der Himmel ist seit Tagen grau. Das Wetter passt wohl auch zur Stimmung der Menschen auf dem Weg zur Arbeit: Sie – und viele andere auch - sprechen von der größten politischen Krise seit Kriegsende.
Kein leichtes Bekenntnis für ein Land, das sich seit Jahren in einer Dauerkrise befindet. Der Name, der allen hier auf der Zunge liegt: Milorad Dodik vom Bund der Unabhängigen Sozialdemokraten (SNSD). Gegen den Präsidenten der Republika Srpska (RS) - eine der beiden Entitäten im Land - liegt seit über einem Monat ein Haftbefehl vor.
Gemeinsam mit Premier Radovan Višković und Parlamentspräsident Nenad Stevandić wird ihm vorgeworfen, gegen die „verfassungsmäßige Ordnung“ verstoßen zu haben. Sie wollten den Verfassungsgerichtshof Bosnien-Herzegowinas und den Hohen Repräsentanten - ein von der UN eingesetztes Protektorat - in der RS verbieten. Kurz gesagt: ein Putschversuch.
Vor Gericht wurden sie in erster Instanz verurteilt. Nachdem sie sich vor der Staatsanwaltschaft drückten, wurde ein Haftbefehl erlassen.
Nur möchte niemand die Verhaftungen durchführen.
Dodik wird von bis zu 40 bewaffneten Polizist:innen geschützt, die ihn im Ernstfall mit Gewalt verteidigen sollen. Die Anordnung kommt aus dem Innenministerium. Die Ermittlungs- und Schutzbehörde (SIPA), die in der Lage wäre, die Verhaftung durchzuführen, geht daher von einem zu hohen Sicherheitsrisiko aus. Die EU-geführten Schutztruppen EUFOR Althea waren bisher nicht bereit, eine Verhaftung zu unterstützen.
Wie geht es jungen Menschen vor Ort damit? Um das herauszufinden, fahre ich nach Banja Luka, der Hauptstadt der RS.
Kurz vor der Einfahrt in die Stadt steht eine Werbetafel hinter der nächsten. Alle mit der gleichen Nachricht: „Präsident Dodik. Einer für alle.” Das Zusammenleben scheint hier zwischen allen Ethnien und Religionszugehörigkeiten gut zu funktionieren. Die zweitgrößte Stadt Bosnien-Herzegowinas hat sogar einige der im Krieg zerstörten Moscheen wieder aufgebaut. Es gibt auch eine Madrasa, eine islamische Schule.
Dominant ist aber weiterhin die Verbindung zu Serbien. Am Kiosk werden regimenahe Zeitungen aus Serbien ausgelegt und an den Straßenlampen hängen jeweils eine serbische Flagge und eine der RS.
In den Kaffeehäusern wird noch immer geraucht. Hier treffe ich zwei junge Student:innen. Beide wollen anonym bleiben, dafür aber offen sprechen.
„Wenn wir in der RS darauf bestehen kyrillisch zu schreiben, dann machen wir das, weil wir sie verteidigen“, sagt O. Milorad Dodik ist für ihn trotz aller Mängel der „legitim gewählte“ Präsident und muss sich gerade selbst und die RS verteidigen.
Neben ihm sitzt I. Sie erwähnt mehrmals, dass in Banja Luka und ihrem Freundeskreis weiterhin multiethnisch gedacht wird. Sie knüpft es aber gleichzeitig an eine Anschuldigung an die Hauptstadt: „Christlich-orthodoxe Schulen gibt es in Sarajevo zum Beispiel nicht“, meint sie. Beiden finden, es bestehe eine „brutale Dominanz des Hohen Repräsentanten“.
Ihr Kollege, D. stimmt hier überein. „Das Land muss langsam anfangen, eigenständig zu arbeiten und braucht keinen Hohen Repräsentanten“, sagt er. Der 29-Jährige besucht mehrmals........
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