Magazin: Die Koordinaten einer neuen Etappe der internationalen Situation
Wir stehen am Anfang der zweiten Präsidentschaft von Donald Trump, die schon jetzt die internationale Lage rasant verändert. Welche Szenarien eröffnen sich in dieser neuen Etappe?
Dieser Artikel erschien zuerst am 16. März 2025 auf Spanisch bei Ideas de Izquierda. Er ist Teil der Dokumente für den kommenden Kongress der Partei Sozialistischer Arbeiter:innen (PTS), der Schwesterorganisation der Revolutionären Internationalistischen Organisation (RIO) in Argentinien. Die Situation hat sich seitdem weiterentwickelt, die Analyse der internationalen Koordinaten ist jedoch weiterhin gültig, weshalb wir den Artikel hier übersetzen.
Der Amtsantritt von Donald Trump hat die internationale Lage, die von zunehmenden geopolitischen Spannungen und drohenden Handelskriegen geprägt ist, wie ein Hurrikan erschüttert. Mit der Trumpschen Taktik, Chaos als Methode zu nutzen und stets die Frage offen zu lassen, ob seine radikalsten Vorschläge (wie die ethnische Säuberung des Gazastreifens, um dort ein privates Resort zu errichten) nur ein Bluff oder eine echte Bedrohung sind, kommt zu der allgemeinen Verwirrung große politische und wirtschaftliche Unsicherheit hinzu.
In der Außenpolitik scheint Trump an der berühmten „Madman“-Theorie von Richard Nixon festzuhalten. Demnach sei es bei Verhandlungen von Vorteil, als irrationaler und unberechenbarer Anführer aufzutreten, der zu allem fähig ist, und halte so Feinde davon ab, die USA zu provozieren. Es sei indes daran erinnert, dass Nixons Strategie Grenzen hatte. Das tatsächliche Kräfteverhältnis setzte sich durch, und das Weiße Haus schloss schließlich ein strategisches Abkommen mit China und zog sich aus Vietnam zurück. Auch wenn die USA heute nicht in einer derartigen Krise stecken wie zur Zeit des Vietnamkriegs, ist zu erwarten, dass die Drohgebärden unter den Bedingungen nach der Krise von 2008 zwar vielleicht kurzfristige Effekte haben können. Aber es wird Trump kaum gelingen, den hegemonialen Niedergang des US-Imperialismus zu übertünchen (geschweige denn umzukehren).
Die kopernikanische Wende, die Trump in der Ukraine-Krise vollzogen hat – von einer Allianz mit Selenskyj zu einer Friedensverhandlung mit Putin – hat eine Art „strategische Konjunktur“ eröffnet. Denn mit dem Zusammenbruch der von Washington angeführten liberalen Ordnung und ihrer neoliberalen Variante nach dem Kalten Krieg, welche die letzten 80 Jahre bestimmt hatte, hat eine neue Etappe begonnen. Nun verbinden sich also die kurzfristigen Ereignisse mit den strukturellen Determinanten dieses neuen Abschnitts. Seit der kapitalistischen Krise von 2008, die den Zusammenbruch der neoliberalen Hegemonie markierte – zusammengefasst in der Trias: unipolarer Moment der Vereinigten Staaten, Hyperglobalisierung (Freihandel) und Ausweitung der liberalen Demokratie – hat eine Etappe der Erneuerung der tiefgreifenden Tendenzen der imperialistischen Epoche der Kriege, Krisen und Konfrontationen zwischen Revolution und Konterrevolution begonnen.
Die zweite Amtszeit von Donald Trump – und allgemeiner der Aufstieg verschiedener Varianten der extremen Rechten – sind nicht die Ursachen, sondern die „krankhaften Symptome“ dieser neuen Situation.
Die strukturellen Koordinaten dieser neuen Etappe sind der Niedergang der US-Hegemonie und der Aufstieg Chinas als konkurrierende Macht, die ein Bündnis mit Russland vorangetrieben hat, dem sich andere Länder im Konflikt mit dem Westen (Iran, Nordkorea, Venezuela) angeschlossen haben. Hinzu kommt der Aufstieg von mittleren Mächten wie der Türkei, Indonesien und anderen Mitgliedern des „globalen Südens“, die je nach ihren Interessen in unterschiedlichem Maße in der Lage sind, die regionale Dynamik zu beeinflussen.
Die Präsidentschafts Bidens stellte nach der ersten Trump-Präsidentschaft nicht etwa eine „Rückkehr zur Normalität“ dar. Sie war vielmehr ein gescheiterter Versuch, die alte liberale Ordnung wiederherzustellen und die führende Rolle der USA im Bündnissystem des Westens – mit Europa, der NATO und den asiatischen Verbündete (Japan, Australien, Südkorea) – zu erneuern.
Trump verfolgt eine andere Strategie zur Überwindung dieser Krise des US-Imperialismus: Er setzt im Innern auf eine bonapartistische Wende, die auf der Allianz mit Milliardär:innen wie Elon Musk beruht, und in der Außenpolitik auf eine „neorealistische“ Neuausrichtung, die nicht von der Strategie geleitet wird, eine globale Ordnung anzuführen. Vielmehr wird sie von einem nationalen imperialistischen Interesse bestimmt, das zunehmend die Form der „Einflusssphären“ des klassischen Imperialismus annimmt.
Die beiden Schlüsselslogans der Trump-Kampagne – MAGA, also „Make America Great Again“, und „America First“ – in der Reaganschen Variante „Frieden durch Stärke“ – nehmen konkrete Formen an. Es handelt sich weder um eine Rückkehr zum traditionellen Isolationismus noch um einen gefestigten Protektionismus, der einen Rückzug auf die nationalen Grenzen impliziert. Vielmehr geht es darum, den US-Imperialismus nicht in Kriege zu verwickeln, in denen seine Interessen nicht direkt auf dem Spiel stehen, seine Dominanz in der „westlichen Hemisphäre“ („die Amerikas“) als „Einflusssphäre“ zu bekräftigen und die militärischen, geopolitischen und wirtschaftlichen Ressourcen auf die Eindämmung Chinas zu konzentrieren, das die größte strategische Herausforderung für die schwindende Führungsrolle der Vereinigten Staaten darstellt.
Die aggressive imperialistische Rhetorik, die Trump an den Tag legt – sich Grönland aneignen, den Panamakanal zurückerobern, Kanada annektieren –, ist als Teil dieser Neuausrichtung zu begreifen. Dabei verweist Trump auch auf die Monroe-Doktrin und die Präsidentschaft von William McKinley, die durch Protektionismus und die territoriale Expansion der Vereinigten Staaten (Puerto Rico, Philippinen usw.) gekennzeichnet war. Der große Unterschied besteht darin, dass die imperialistische Expansion McKinleys (der übrigens von einem Anarchisten ermordet wurde) mit dem Aufstieg der US-amerikanischen Macht zusammenfiel, während die Drohungen Trumps eine gewisse Anerkennung der Grenzen der US-amerikanischen Macht darstellen und in einem Kontext des Niedergangs erfolgen.
Nach dem zu urteilen, was er bei seinen ersten Schritten als Chef im Weißen Hauses getan hat, wird Trump weiterhin auf die sogenannte „Handelsdiplomatie“ in Verbindung mit der Abschreckung durch militärische Macht setzen. Das heißt, dass bilaterale Abkommen Vorrang haben und Zölle und Abgaben als Instrumente eingesetzt werden, um zunächst Zugeständnisse von den Verbündeten zu erlangen, die aufgrund ihres unterschiedlichen Abhängigkeitsgrades am stärksten unter dem Druck der USA stehen (Kanada, Mexiko, Europa), und um Feinde und Rivalen in Schach zu halten. Gleichzeitig werden die Militärausgaben auf die Neuausrüstung mit moderneren und agileren Waffen (sowie die Erneuerung der Atomwaffen und der Militärtechnologie) umgelenkt, um die Reaktionsfähigkeit des Pentagon zu erhöhen, das durch die gleichzeitige Unterstützung der Ukraine und Israels überlastet wurde.
Mit dieser Politik strebt Trump an, partielle Abkommen zu erzielen, die Konflikte wie im Nahen Osten oder in der Ukraine lösen oder zumindest einfrieren. Denn diese belasten nicht nur die US-amerikanische Staatskasse, sondern könnten auch zu Kriegen zwischen Atommächten eskalieren. Aber selbst wenn Trump damit Erfolg haben sollte – was sich noch zeigen muss –, ist diese „Architektur“ der Weltmacht instabil und provisorisch.
Wie mehrere Analyst:innen betonen, ist der „Transaktionalismus“ von prekärer Natur. Schließlich werden Vereinbarungen getroffen und gebrochen. Den Stellenwert einer „großen Strategie“, wie es beispielsweise die „Eindämmung“ der Sowjetunion im Kalten Krieg war, erreicht er nicht. Perspektivisch verstärkt diese Umstrukturierung der zwischenstaatlichen Beziehungen, in der die USA nicht mehr die unbestrittene Ordnungsmacht sind, die Rivalitäten zwischen den Mächten und befeuert den einen Militarismus, der sich auf die kommenden Kriege vorbereitet. Denn diese Beziehungen basieren auf keinem einschneidenden Ereignis – wie dem Zweiten Weltkrieg oder dem Ende des Kalten Krieges –, das die Kräfteverhältnisse und die Machtverteilung für einen historischen Zeitraum lösen könnte. In diesem Sinne halten wir unsere Definition aufrecht, dass wir zwar nicht am Anfang eines „Dritten Weltkriegs“ stehen, aber ein gefährliches Interregnum mit Elementen einer Situation „vor 1914“ begonnen hat. Wie der Historiker Christopher Clark über den Ersten Weltkrieg geschrieben hat, scheinen auch die heutigen Hauptakteure wie „Schlafwandler“ auf einen Konflikt globaler Dimensionen zuzugehen. Als Trump Selenskyj beschuldigte, „mit dem Dritten Weltkrieg zu spielen“, bezog er sich auf die Eskalationsdynamik des Ukraine-Kriegs, mit einer immer direkteren Beteiligung der NATO – und der Vereinigten Staaten – auf der ukrainischen Seite.
Die „Friedensdividende“, die George Bush senior und Margaret Thatcher am Ende des Kalten Krieges abgestaubt hatten, ist aufgebraucht. Das bedeutet nicht, dass wir uns auf einem direkten Weg in einen neuen Weltkrieg befinden würden, unter anderem weil die „Grade des Schlafwandlertums“ variieren, je nachdem, wie kriegerisch die imperialistischen Regierungen, insbesondere die Vereinigten Staaten, ausgerichtet sind. Aber die Aushöhlung der liberalen Ordnung und der Fähigkeit (und Bereitschaft) der USA, als „Weltpolizei“ zu agieren, macht bewaffnete Konflikte unterschiedlichen Ausmaßes wahrscheinlicher, die wie im Fall der Ukraine oder des Nahen Ostens eskalieren und die Großmächte einbeziehen können.
Die Elemente, die die Situation einer Konstellation „vor 1914“ annähern, sind die Krise der imperialistischen Führung, der Aufstieg konkurrierender Mächte (China), die Rückkehr der Rivalitäten zwischen den Großmächten und der Sprung des Militarismus, insbesondere die vorbereitende Aufrüstung der europäischen Mächte. Gleichzeitig gibt es Elemente, die diese Konstellation relativieren. Einer davon hat mit der zunehmenden Internationalisierung und Abhängigkeit des Kapitals von globalen Wertschöpfungsketten zu tun – einer Struktur, die in den Jahrzehnten der Hyperglobalisierung entstanden ist. Auch wenn die Globalisierung rückläufig ist und sich im Rahmen protektionistischer Tendenzen in eher regionale Formen (Nearshoring) und geopolitisches „Derisking“ (Friendshoring) verwandelt, gibt es keinen Zusammenbruch des Welthandels wie 1930. Ein weiteres wichtiges Element ist, dass es sich im Gegensatz zu Beginn des 20. Jahrhunderts nun um Atommächte handelt, die selbst in konventionellen Kriegen (wie dem in der Ukraine) mit der Gefahr der gegenseitigen Zerstörung spielen. Schließlich gibt es noch den entscheidenden Faktor des Klassenkampfes, also diejenige Perspektive, dass, wie Trotzki in den 1930er Jahren betonte, der Sieg der Arbeiter:innenrevolution (Spanien) den Kriegsverlauf aufhalten könnte.
Das wichtigste Ereignis in den ersten Wochen der Trump-Präsidentschaft war die radikale Veränderung der Position der USA im Ukraine-Krieg. Dieser Krieg – der erste größeren Ausmaße im Herzen Europas seit dem Zweiten Weltkrieg – beschleunigte die Bildung rivalisierender Machtblöcke: der „Westen“/NATO hinter der Ukraine unter US-amerikanischer Führung und ein im Aufbau befindliches Bündnis zwischen Russland und China, das als alternativer Anziehungspunkt für isolierte Länder wie Iran und Nordkorea wirkt.
Unter Biden bewaffneten die USA die Ukraine und führten die NATO-Verbündeten in einem Stellvertreterkrieg zur Schwächung Russlands an. Unter Trump gingen sie nun zur Aufnahme bilateraler Verhandlungen über eine Waffenruhe direkt mit Wladimir Putin über, wobei ihre ehemaligen Verbündeten, die europäischen Mächte, und Selenskyj selbst von den Gesprächen ausgeschlossen wurden. Die Botschaft Trumps ist kategorisch und hat durchaus erpresserischen Charakter: Entweder akzeptieren Selenskyj (und seine europäischen Verbündeten) die mit Putin ausgehandelten Bedingungen für einen Waffenstillstand oder die Vereinigten Staaten ziehen sich zurück.
Die Verhandlungen sind im Gange, tatsächlich haben sie gerade erst begonnen. Und obwohl keine Einzelheiten über das erste Treffen zwischen Russland und den USA in Riad bekannt sind (das einige zu Recht als eine Art „Mini-Jalta“ bezeichneten), setzt jedes „realistische“ Abkommen voraus, dass die Ukraine ihre Niederlage anerkennt. Das........
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